Kino-Film "Bildnis des Dorian Gray": Er fummelt gerne am Gewürm

Regisseur Oliver Parker hat Oscar Wildes "Bildnis des Dorian Gray" fürs Kino adaptiert - ohne jedes Gespür für adligen Jugendwahn.

Ben Barnes als Dorian Gray im Film "Das Bildnis des Dorian Gray". Bild: dpa

Eigentlich ist er eher erstaunlich glatt als umwerfend schön. In zwei, drei großen Schwüngen liegt das dunkle Haar über seinem Hinterkopf. Wie ein geöffneter Vorhang, der das ebene Gesicht in seiner Mitte als Sensation zum Bestaunen freigibt. Das wiederum ist vor allem jung, mit den feinen Zügen bestsituierter Internatsschüler, die im Leben keine größeren körperlichen Anstrengungen zu befürchten haben als die gerade angesagter Freizeitsportarten. Dorian Gray, gespielt von Ben Barnes, ist in seiner vierten Leinwandadaption die Unschuld in Person. Leider auch die Langeweile.

Seit seinem Auftritt als Prinz Kaspian im zweiten Teil der "Chroniken von Narnia" geht Barnes als Jungmädchentraum und Sammelpostermotiv für die ersten ungefährlichen Schwärmereien durch. Aus der Harmlosigkeit des Teenie-Stars ein narzisstisches Arschloch entsteigen zu lassen, das ein Bild von sich stellvertretend für den eigenen Leib altern lässt und für das Morden bald zum Anti-Aging-Programm gehört, hätte eine Herausforderung mit eindrucksvoller Fallhöhe sein können. Doch Regisseur Oliver Parker, der sich nach "An Ideal Husband" und "The Importance of Being Earnest" nun zum dritten Mal einem Oscar-Wilde-Stoff widmet, weiß mit der Projektionsfläche der alles andere als abgründigen Schönheit seines leading actors nichts anzufangen. Von Anfang an interessiert ihn in allein der Gothik-Aspekt. Er fummelt lieber am widerlichen Gewürm, das hinter aller verhängter Vergänglichkeit kreucht, zielt auf Ekel und Schock.

Gleich im ersten Bild hackt deswegen ein enthemmter Schönling auf einen Gönner ein, der Grays wahren gammeligen Kern erkannt hat. Rotes Blut spritzt da in vielen Einstellungen auf ein weißes Hemd. Gitterstäbe leuchten bläulich im Vollmondlicht durch den obligatorischen Nebel, und in einer lakritzschwarzen Themse wird das vorerst letzte Opfer des skrupellosen Beaus versenkt. Bei Parker, der einst mit Clive Barker Horrorshows auf die Bühne brachte, wird Dorian Gray zur unfreiwilligen Gruftie-Karikatur.

Nur einmal leuchtet in seinen braunen Knopfaugen etwas auf, das man mit gutem Willen Verkommenheit nennen könnte. Es ist einer der Momente, in dem diesem Dorian Gray zwischen der Zigarre im Herrenclub und dem Gruppensex im Freudenhaus klar zu werden scheint, dass er als chronisch jugendlicher It-Boy der besten Gesellschaft im viktorianischen London über eine Macht verfügt, die auf rein gar nichts fußt. Auf keiner Gabe, keiner Könnerschaft, keinem Wissen und keinem wirtschaftlichen Erfolg. Sein Talent ist allein der ungebrochene Blick auf das eigene Spiegelbild in den erweiterten Pupillen seiner Umschwärmer, der Blick in eine Kamera, die nichts weiter von ihm fordert, als zu bleiben, wie er ist.

Ben Barnes ist nicht Helmut Berger, der 1970 in einer "Das Bildnis des Dorian Gray"-Adaption unter der Regie von Massimo Dallamano als Jet-Setter und Lustknabe provozierend gegen die Vergänglichkeit anpoppte. Wilde erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in eine auf undurchschaubaren Ritualen gegründeten Gesellschaft eintritt und der den Übergriffen, die sein Status als schnuckeliges, alleinerbendes Waisenkind mit sich bringt, auf die ihm einzig mögliche Weise begegnet - nämlich seine Schönheit an alle zu verteilen und dabei selbst nicht zu kurz zu kommen. Sie birgt auch heute noch weit mehr Sprengstoff, als dieses Sequel begriffen hat. Wie gut hätten sich die ästhetizistischen Oberflächenphänomene des 19. Jahrhunderts mit der Altersangst und manischen Körperkultur unserer Gegenwart verschmelzen lassen. Doch in diesem blassen "Dorian Gray" entziehen sich die Verjüngungssehnsüchte des Adels und des Großbürgertums sowie der Snobismus des britischen Klassenbewusstseins jeder allegorischen Querverbindung zu den durchgestrafften Celebrities unserer Tage.

Das macht alles so enttäuschend schlicht und verschenkt so leichtfertig jede Option auf ein bisschen Mehrwert, dass man sich umso mehr über unverhoffte Beigaben wie den Auftritt von Colin Firth freut, der als maliziöser Verderber Lord Henry Wotton Dorian Gray unter seine Fittiche nimmt. Wotton schickt seinen Zögling in die Schlachtfelder der Lust und der Gier und sieht genüsslich dabei zu, wie Dorian versucht, seine Jugend zu verschwenden. Wenn Wotton ergraut, ansonsten aber unversehrt davonkommt, blitzt die Doppelbödigkeit seines Patronats durch. Dorian soll stellvertretend für den alten Lüstling den Weg der reinen Begierde gehen, weil der feige Wotton selbst zu sehr an den Vorzügen des saturierten Lebens hängt.

So erstarrt Gray bald in toter Schönheit, während sein einstiger Freundeskreis das Alter mumifiziert. Egal, wo man in diesem "Bildnis" hinblickt: Überall blicken Fratzen einer lächerlichen Freakshow zurück.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.