Das Party-Ich im Erfahrungssteinbruch

NACH DEM HYPE Der von Hegemann zitierte Airen lotet in „I am Airen Man“ sein Potenzial als Schriftsteller aus

Aus Airens Roman werden sich begabtere Seelen das Beste herausklopfen

VON NINA APIN

Airen will es wissen. Der 29-jährige Blogger, aus dessen Bändchen „Strobo“ sich Helene Hegemann ungefragt für ihr Debüt „Axolotl Roadkill“ bedient hatte, bringt jetzt einen zweiten Roman heraus: „I am Airen Man“ heißt das bei Blumenbar erschienene Werk in Anspielung auf den Black-Sabbath-Song „I am Iron Man“.

„I am Airen Man“ ist der Versuch des beklauten Autors, aus der sekundären Berühmtheit des Hegemann-Hypes herauszufinden und die durch den Plagiatsskandal erzeugte öffentliche Aufmerksamkeit auf seine eigene literarische Produktion zu lenken.

Airens Debüt „Strobo“, das beim winzigen Berliner Sukultur Verlag in einer 1.000-Stück-Auflage erschien, erfuhr erst durch den Skandal um Hegemann größere Aufmerksamkeit. Die nachträglichen Würdigungen von Kritikern, die Tantiemen und die von Hegemanns Verlag Ullstein zugesicherte Herausgabe von „Strobo“ als Taschenbuch waren für den unter Pseudonym schreibenden Berliner bestimmt nur ein kleiner Trost. Es muss an ihm genagt haben: Hätte seine Arbeit auch ohne den ganzen Hegemann-Rummel Anklang gefunden? Hat er alleine das Zeug zum gefeierten Schriftsteller? Diese Fragen versucht Airen mit dem orange-pink aufgemachten Band zu klären.

Noch traut sich der Mann, von dem lange keine Fotos kursierten, aber nicht aus der Deckung. Der 1981 geborene und in Oberbayern aufgewachsene Berliner verbirgt sich hinter dem Pseudonym Airen, auf chinesisch etwa „Liebesmensch“. Wem die Liebe des Ich-Erzählers gilt, daran bleibt kein Zweifel. Wie in „Strobo“, das von Erlebnissen im Berliner Nachtleben handelte, bestimmt die Lust am Exzess auch „I am Airen Man“, das chronologisch an „Strobo“ anknüpft und ebenfalls Texte aus seinem Blog vereint.

Die grobe Handlung: Nach ein paar Jahren voller Drogen, Technobässe und Sex in Berlin hat der junge Mann wundersamerweise seinen Uni-Abschluss in der Tasche. Er zieht nach Mexiko-Stadt, um dem „Rausch-Kater-Zyklus“ zu entfliehen und in einer Unternehmensberatung zu arbeiten. Doch das Dasein, „eingeschnürt in eine Krawatte, in unbequemen harten Schuhen mit unsicherem Tritt, unter Karrieristen“, bekommt ihm nicht.

Geplagt von chronischer Schüchternheit und Selbsthass zieht er sich wieder auf sein „Party-Ich“ zurück. Der Exzess geht weiter, nur diesmal unter Palmen. In den besten Momenten klingt „I am Airen Man“ nach dem ebenfalls bei Blumenbar erschienenen alkoholgetränkten „Rum Diary“ des Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson: „Acapulco ist ein öliges Schwippschwapp, blitzende, geldgebleichte Zähne, eine besonnte Nazilagune, House-Musik und Meeresfrüchte, ein mexikanisches Las Vegas, überteuerte Drogen, das Haus von dem und dem, Victoria-Kronkorken im Sand, gegenseitig in den Mund geschobene Melonenstücke, ein Albtraum von Mexiko, eine Messe sämtlicher in der Welt vertretener Hotelketten, rangeklatscht an die zehn Meter Strand.“

Der schüchterne Blonde, der sich zwischen Mexiko-Stadt und Acapulco zwanghaft mit allem zuknallt, was Rausch verspricht, entfernt sich immer mehr von seinen smarten Unternehmensberaterkollegen. Unentschuldigt bleibt er wochenlang der Arbeit fern. Bei der alten Dona Tina findet er eine proletarische Ersatzfamilie, bei ihrer Enkelin Lily die Liebe. Und kann nicht fassen, wie leicht er davonkommt. „Und ich laufe noch immer durch Mexiko. Ohne Plan, ohne Geld, ohne Zutun. Es ist nicht mal nur die Bequemlichkeit, es ist auch der Spaß am Gegenbeweis. Ich habe mich einfach mal so in Mexiko-Stadt eingeparkt. Und zahle noch nicht mal Gebühren.“

Die guten Gonzo-Momente sind bei Airen rar gesät. Fast völlig fehlen auch aufblitzende Momente von echter literarischer Wucht, die Helene Hegemann bereits weiter verarbeitet hat. Der Rest des Buchs liest sich locker weg, nervt aber durch die bruchlose Aneinanderreihung von Drogen- oder Sauforgien. Der pubertäre Sprachduktus zwischen „saugeil“ und „Erst ma kacken, Alter“ wirkt auf Leser jenseits der 25 zermürbend.

Ebenso wie die platten Einsichten, die der interkulturell relativ unbeleckte Reisende gewinnt. Etwa, dass Mexikaner deutlich unorganisierter sind als Deutsche, durch ihre mangelnde Körpergröße aber zum Glück unbedrohlich wirken. Oder, dass man als großer Blonder in Mexiko angestarrt wird wie ein „Neger“.

In einem Interview sagte Airen einmal, dass er wohl Fliesenleger in Rosenheim geworden wäre, wenn er zu Schulzeiten schon so viel gefeiert hätte. Zum Glück hat er die Drogen erst spät entdeckt und ist ein schreibender Feierkopf geworden. Wenn man davon ausgehen darf, dass das literarische Ich mit Airen identisch ist, dürfte es den jungen Vater inzwischen in andere Erlebnisgefilde führen. Aus der Spannung zwischen Sehnsucht nach Kontrollverlust und Familienleben entsteht vielleicht die Reflexionstiefe, die es braucht, um aus „Airen“ einen Schriftsteller zu machen, der Abgründe nicht nur beschreiben, sondern sich auch literarisch aneignen kann. „I am Airen Man“ ist davon noch weit entfernt. Trotz einiger toller Stellen ist das Buch ein Erfahrungssteinbruch, aus dem sich zaghaftere, aber literarisch begabtere Seelen wie Helene Hegemann das Beste herausklopfen.

Airen, „I am Airen Man“, Blumenbar-Verlag, Berlin, 2010, 171 S. 17,90 Euro.