Antigones Ankunft in Ramallah

ZUKUNFT DENKEN Jede Ausbildung bedeutet Hoffnung: Nirgendwo ist das so spürbar wie in Palästina, wo eine Schauspielschule in Ramallah ihre Arbeit aufgenommen hat. Das antike Drama „Antigone“ von Sophokles steht am Anfang. Gute palästinensische Stoffe gibt es kaum

„Ich will über Frieden sprechen. Ich habe genug vom Krieg. Ich will neue Ideen bringen“

HASIM AL-SCHARIF, SCHAUSPIELSCHÜLER RITA HURANI, SCHAUSPIELSCHÜLERIN

VON MARLENE HALSER

Amdschad Haschim kaut Fingernägel. Dann hält er es nicht mehr aus. „Nun sag schon!“, ruft der 22-Jährige im hellblauen Hemd. Die ägyptische Schauspiellehrerin mit der Holzperlenkette verlängert ihre Kunstpause um weitere quälende Sekunden. Gleich werden die Schüler erfahren, welche Rolle sie in Sophokles’ „Antigone“, dem Abschlussstück des ersten Semesters, spielen dürfen. Drei Jahre dauert die Ausbildung an der ersten palästinensischen Schauspielschule. Zwölf Schüler hatte das Al-Kasaba-Theater in Ramallah im Oktober 2009 aus 70 Bewerbern ausgewählt. Nach sieben Monaten sind noch 9 übrig.

Die Schauspielschule ist ein Gemeinschaftsprojekt des Al-Kasaba-Theaters und der Folkwang Schule in Essen. Sie entstand mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und ist Teil der Initiative „Zukunft für Palästina“, die Exaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zusammen mit dem palästinensischen Premierminister Salam Fajjad 2008 ins Leben rief. Gemeinsam mit der Folkwang-Schule wurde der Lehrplan entwickelt. Die Studenten schließen die Ausbildung mit einem Bachelor of Arts ab. Finanziert wird das Projekt von der deutschen Merkator-Stiftung und aus Geldern der palästinensischen Autonomiebehörde.

Theater als junge Kunst

In einer Unterrichtspause sitzt Amira Habasch im Foyer des Theaters und raucht. Sie ist eine von zwei Schülerinnen in Ramallah. Zu Beginn der Ausbildung waren sie noch zu viert. Ihre Kolleginnen hätten nicht aus Mangel an Talent abgebrochen, sagt die 25-Jährige mit den braunen Locken und dem silbernen Nasenring. „Bei einem Mädchen wollten die Eltern nicht, dass sie weitermacht“, erklärt Amira. Eine andere Schülerin habe sich auf ihren Hauptberuf als Anwältin konzentrieren wollen.

Schauspieler haben in arabischen Ländern keine Tradition. „Wir haben gute Schriftsteller und Dichter“, erklärt Georg Ibrahim, Gründer und Generaldirektor des Theaters. „Und eine lange Tradition des Geschichtenerzählens.“ Theater spiele in der arabischen Kultur erst seit 100 Jahren eine Rolle. Deshalb wird das Schauspielmetier nicht als ernsthafte Tätigkeit angesehen. Besonders junge Frauen erfahren wenig Unterstützung. „Viele Palästinenser haben ein Problem damit, Frauen als selbstbewusste Schauspielerinnen auf der Bühne zu sehen“, sagt Amira.

Trotzdem will auch Amira nach der Ausbildung nicht hauptberuflich am Theater arbeiten. „Ich liebe die Bühne, aber die Arbeit kostet mich zu viel Energie.“ Am Ende der drei Jahre will sie ihr Journalistikstudium wieder aufnehmen. Theater soll ein Hobby bleiben.

Soaps aus Ägypten

Anders als Amira mangelt es den meisten palästinensischen Schauspielschülern an Vorbildern. „Sie kannten nur ägyptische Fernsehserien, als sie bei uns ankamen“, erinnert sich der Dozent Ibrahim Mosain. „Beim Vorstellungsgespräch sagten einige, sie wollten reich und berühmt werden.“ Nach sieben Monaten intensiven Trainings hat sich ihre Einstellung geändert.

Amdschad Haschim will zum Film. Wenn der 22-Jährige mit der gebügelten Anzughose seine Ausbildung beendet hat, will er im Ausland Regie studieren. „Ich will Filme drehen wie ‚Braveheart‘ oder ‚Herr der Ringe‘“, sagt er. Hasim al-Scharif dagegen will im Westjordanland bleiben. „Ich will mit meiner Kunst neue Ideen in meine Heimat bringen“, sagt der 26-Jährige mit den krausen braunen Haaren. „Ich will über Frieden sprechen. Ich habe genug vom Krieg.“

„Wir Schüler werden neue Theater eröffnen“

Damit benennt er, worum es auch den deutschen Partnern bei dem Projekt geht: ein Stück Normalität zu schaffen in einem Landstrich, in dem aufgrund des seit 60 Jahren schwelenden Konflikts mit Israel so gar nichts normal ist. In dem fast jeder Jugendliche schon einmal verhört wurde und in dem es bislang keine Kulturszene, geschweige denn funktionierende Elemente einer Zivilgesellschaft gibt.

Im Moment muss sich al-Scharif mit Sophokles’ „Antigone“ zufriedengeben – einem Stück um Leben und Tod. „Unser Unterricht beginnt mit der griechischen Mythologie“, erklärt Georg Ibrahim. „Unsere Schüler sollen die Grundlagen der Schauspielkunst kennen.“ Hinzu kommt, dass es nur wenige gute Theaterstücke von palästinensischen Autoren gibt. „Viele unserer Schriftsteller haben keine Erfahrung im Stückeschreiben“, sagt Ibrahim Mosain. „Wenn sie es doch versuchen, dann schreiben sie Dialoge ohne Handlung.“ Eine Ausbildung für Autoren ist deshalb für die Zukunft geplant.

Die Möglichkeiten allerdings, in Zukunft hauptberuflich in den Palästinensergebieten als Schauspieler zu arbeiten, sind begrenzt. Rita Huranie will es trotzdem versuchen. Die 30-jährige Mutter hat für die Schauspielschule ihre Stelle als Sekretärin gekündigt. Während sie die Woche im Theater verbringt, betreut ihr Mann den kleinen Sohn.

„Ich wollte schon immer Schauspielerin werden“, sagt Rita. „Aber bis vor Kurzem gab es keine Möglichkeit, diesen Beruf zu erlernen.“ Die nächsten Schauspielschulen sind in Israel. Dorthin dürfen die meisten aus Sicherheitsgründen nur mit Sondergenehmigung reisen. Rita ist zuversichtlich. „Die Gründung dieser Schauspielschule wird etwas bewegen“, sagt sie. Im Herbst sollen bereits zwölf weitere Studenten ihre Ausbildung beginnen. „Wir Schüler werden neue Theater eröffnen und dann wird es auch mehr Jobs für Schauspieler geben.“