Der Kick des Unordentlichen

HOMMAGE AN DEN NUTZER Wo das Netz war, wird Print sein: Einen ungewöhnlichen Weg gehen Adriano Sack und Eva Munz mit ihrem usergenerierten Modemagazin „I like my Style“

Userin Stary aus London hat rote Farbe im Gesicht, trägt einen aufgeschnittenen roten Pullover und hat alles noch mit schwarzem Filzstift verfeinert. Im Inhaltsverzeichnis erzählt Eloise Hindle alias Stary, wie das Bild entstand: Es geht um die Dekonstruktion der Schuluniform, das Foto machte ihre Mutter

VON ENRICO IPPOLITO

Jeder kann ein Star sein, jeder ein Fotograf und jeder ein Model. Zumindest im Internet. Vor allem die Schar der Menschen hinter den Modeblogs haben sich Andy Warhols 15-Minuten-Regel des Ruhms zu eigen gemacht – und ihn für sich verlängert.

Auch die Web-Community für Modebegeisterte, I like my style, hat sich genau das Phänomen zu Nutzen gemacht: Menschen aus aller Welt können ihre Bilder auf der Plattform hochladen und sich selbst zelebrieren, präsentieren und der Kritik stellen. Mittlerweile vereint die Social-Media-Plattform 15.000 User. Der Journalist Adriano Sack ist einer der Mitbegründer von I like my style und Teil des Chefredakteur-Duos des dazugehörigen Magazins.

Gegen die Vergänglichkeit

In einer Zeit, in der Print-Journalismus praktisch für tot erklärt wird, tauchen nun immer mehr Magazine auf, die aus der virtuellen Welt entstehen. Eigentlich eine ungewöhnliche Methode, da das Internet billig ist, oft mehr Leser erreicht und eine unglaubliche Dynamik hat. Und gerade für die Modemagazine bedeuten die Blogs Konkurrenz – wenn auch oft ungewollt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie sind schneller als die Printmedien und im Idealfall fern von Zwängen durch Werbung.

„Alles was im Internet auftaucht, ist aber auch schnell wieder vergangen und nicht greifbar“, erklärt Sack. „Wenn man etwas aufbewahren will, greift man zum Medium Print.“ Natürlich spielt für den Autor aber auch die Liebe zu einem ihm absolut vertrauten Medium eine Rolle. Sack arbeitete für das Magazin Tempo und leitete bis zum Sommer 2005 das Kulturressort der Welt am Sonntag. Mittlerweile lebt der studierte Architekt in New York und arbeitet von dort als freier Autor unter anderem für Monopol, AD Architectural Digest und Pin-Up.

Mit der Journalistin und Filmemacherin Eva Munz suchte er nach einem neuen, spannenden Projekt. Am Ende kam die Idee zum eigenen Magazin. I like my style – Quarterly ist eine Hommage an die Nutzer der Mode-Social-Community – sie sind die Protagonisten und auch gleichzeitig die Autoren.

Spiel mit dem Unberechenbaren

„Das Ergebnis ist elektrisierend“, sagt Sack über sein Baby. Das Heft ist frisch und wirkt experimentell. Für den Journalisten war die Produktion nervenaufwühlend, da die Nutzer des Portals keine Journalisten oder Autoren sind, die an Deadlines gewöhnt sind. „Dadurch entstand eine Unberechenbarkeit, aber auch etwas Spannendes“, sagt er.

„This could be you“, steht auf dem Cover des als Quarterly geplanten Magazins. Wichtig war vor allem, den Autoren ihre Sprache zu lassen und nicht viel zu redigieren. So treffen in der Rubrik „Girl meets Girl“ zwei Frauen aufeinander und reden über Mode, Männer und Arbeit. Dabei entstehen thematische Sprünge, die fern von jeglichen Interviewregeln sind. „Man muss sich schon mit einer gewissen Demut an das Projekt ranwagen und darf die Authentizität nicht verlieren“, erklärt Sack. Auch das Cover des kleinen Sonderformats ist fernab von jeder Modezeitschrift-Hochglanzästhetik. Stattdessen steht Userin Stary aus London in einer heruntergekommenen Wohnung. Sie hat rote Farbe im Rambo-Stil im Gesicht, trägt einen aufgeschnittenen roten Pullover und hat alles mit schwarzem Filzstift verfeinert. Im Inhaltsverzeichnis erzählt Eloise Hindle alias Stary, wie das Bild entstand: Es geht um die Dekonstruktion der Schuluniform, das Foto machte ihre Mutter.

Lob des Unvollkommenen

An sich ein von Perfektion weit entferntes Bild – doch genau diese Unvollkommenheit macht das Foto spannend. Eine Unordentlichkeit, die sich durch das ganze Magazin zieht und auf absurde Weise eine Klarheit schafft; trotz Typografie, die sich nicht an die Regeln der Groß- und Kleinschreibung hält.

Wie Sack betont, solle das Heft auch eine Plattform für junge Künstler sein. Das zeigt sich vor allem in den Advertorials, also der redaktionellen Aufmachung von Werbeanzeigen, die eigentlich als „schmuddelig“ gelten. In dem Advertorial für Mercedes wurde der angehende Fotograf Cody Chandler gebeten, mit seinen Freunden einen Road-Trip in einem Mercedes-Benz G-Klasse durch Amerika zu machen und diesen fotografisch zu dokumentieren. Heraus kam ein zwölfseitige Bilderstrecke, die Chandler nun auch für seine Mappe dient. Beim Adidas-Advertorial schickte man zehn Nutzern der Internetplattform Teile aus der Kollektion, die diese in einem Foto inszenieren sollten. So wird selbst in der Werbung der User zur Hauptperson.

Blogger inbegriffen

Es ist kein Wunder, dass auch einige Modeblogger im Heft vertreten sind. In der „Kulturkritik-Blogalogues“ kommen sie zu Wort: ob Diane Pernet von „A Shaded View on Fashion“ oder Jonathan Zawada von „fashematics.com“.

Sack und Co. revolutionieren mit ihrem zwölf Euro teuren und 265 Seiten starken Heft nicht die Medienlandschaft neu, spielen aber mit einer gewissen Hippness. Diese zeigte sich bei der Relaunch-Party des Magazines in der Bar HBC in Berlin. Die Dichte von Menschen, die was auf sich halten, skandinavische Mode tragen und Gratis-Drinks tanken, ist unüberschaubar hoch.

Das Heft ist schön, sogar cool, es wirkt nicht zu bemüht oder gar gewollt. Doch die Macher ruhen sich darauf aus, die Ersten zu sein, die Modeblogger ins Boot holt. Ob das Projekt beim Leser ankommt, wird sich jedoch erst mit der zweiten Ausgabe zeigen.

Meinung + Diskussion SEITE 12

■ Enrico Ippolito, 27, betreibt zusammen mit einer Freundin den Modeblog „Make it work!“