Kein Raum für Zweifel

KINO Am Freitag wurde zum 60. Mal der Deutsche Filmpreis verliehen. Der Abend zeigte: Die Auszeichnung hat ein Problem

Bester Spielfilm in Bronze: Die Fremde, Regie: Feo Aladag ■ Bester Dokumentarfilm: Das Herz von Jenin, Regie: Marcus Vetter, Leon Geller

Bester Kinderfilm: Vorstadtkrokodile, Regie: Christian Ditter

Beste darstellerische Leistung – weibliche Hauptrolle: Sibel Kekilli, in: Die Fremde

Beste darstellerische Leistung – männliche Hauptrolle: Burghart Klaußner, in: Das weiße Band

Beste darstellerische Leistung – weibliche Nebenrolle: Maria-Victoria Dragus, in: Das weiße Band

Beste darstellerische Leistung – männliche Nebenrolle: Justus von Dohnányi, in: Männerherzen

Beste Regie: Michael Haneke, für: Das weiße Band

Beste Kamera / Bildgestaltung: Christian Berger, für: Das weiße Band

Bester Schnitt: Hansjörg Weißbrich, BFS, für: Sturm

Bestes Szenenbild: Christoph Kanter, für: Das weiße Band

Bestes Kostümbild: Moidele Bickel, für: Das weiße Band

Beste Filmmusik: The Notwist, für: Der Sturm

Beste Tongestaltung: Guillaume Sciama, Jean-Pierre Laforce, in: Das weiße Band

Bestes Drehbuch: Michael Haneke, für: Das weiße Band

Bestes Maskenbild: Waldemar Pokromski, Anette Keiser, für: Das weiße Band

Ehrenpreis: Bernd Eichinger

VON CRISTINA NORD

Als Christoph Waltz den Friedrichstadtpalast gegen Mitternacht verlässt, spielt der DJ einen Hit von Eurythmics. „Sweet dreams are made of this/ Who am I to disagree?“ Am Ende des roten Teppichs stehen etwa 40 Schaulustige und ein paar Polizisten, Hände strecken sich dem Schauspieler entgegen, er schüttelt sie, gibt Autogramme. Zwei Stunden vorher, während der Gala zur Verleihung des Deutschen Filmpreises, hatte Waltz einen der Preise überreicht. Kaum stand er auf der Bühne, begann er in der ihm eigenen Umständlichkeit, sein Unbehagen an dem Begriff „beste weibliche Hauptrolle“ zu erläutern. Der Superlativ mache vergessen, wie unterschiedlich und auf je eigene Art überzeugend die nominierten Darstellerinnen seien. Bevor er seine Skrupel weiter ausführte, war Sibel Kekillis Name schon gefallen. Die Schauspielerin zog sich die hohen Schuhe aus, hastete auf die Bühne, rang, sichtlich überrascht, mit den Worten. Dann sagte sie deutlich, dass sie nicht noch einmal mehrere Jahre auf ihre nächste Hauptrolle warten wolle. „Ich, Schauspielerin, weiblich, Spielalter von 23 bis 30, bin an guten Stoffen interessiert“, rief sie. „Ich will arbeiten!“

Der Preis für Sibel Kekilli für ihre Rolle in Feo Aladags Drama „Die Fremde“ war tatsächlich eine Überraschung an einem Abend, der sonst nicht viele Überraschungen bereit hielt. Denn in steter Folge gingen die Preise an Michael Hanekes Schwarzweißfilm „Das weiße Band“; in insgesamt zehn Kategorien reüssierte diese virtuos gemachte Erforschung von Gewalt und Macht in einem preußischen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Warum nun ausgerechnet Susanne Lothar, die Hauptdarstellerin bei Haneke, keine Auszeichnung bekam? Ihr Auftritt als gedemütigte Haushälterin und Geliebte des Dorfarztes war nun wirklich preiswürdig. Vielleicht wollten die Akademiemitglieder wenigstens in einer der wichtigen Kategorien für Abwechslung sorgen, vielleicht lag es auch daran, dass „Die Fremde“ von der Unterdrückung und Bedrohung einer jungen Deutschtürkin durch ihre eigene, traditionsverhaftete Familie erzählt. Der Film greift ein Thema auf, das als gesellschaftlich relevant gilt, und gehört zu jenem vordergründig politischen Kino, das weniger Zweifel denn Gewissheit stiftet: Die anderen sind rückständig und gewalttätig, wir, die wir den Film sehen, bekommen das gute Gefühl, liberal und fortschrittlich zu sein.

Aber zurück zu „Das weiße Band“. Auf Hanekes Film entfielen unter anderem die Preise für die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Film. Geradezu routiniert freuten sich der österreichische Regisseur sowie der Produzent Stefan Arndt über Geld und Anerkennung. Kein Wunder, sie haben Übung: „Das weiße Band“ gewann im Verlauf der letzten elf Monaten die Goldene Palme in Cannes, mehrere europäische Filmpreise und war außerdem in zwei Kategorien für den Oscar nominiert. Bevor Bernd Neumann, der Staatsminister für Kultur, den Hauptpreis überreichen sollte, sagte er: „Es ist wirklich spannend.“ Das brachte ihm einige Lacher ein. Denn dass „Das weiße Band“ die Goldene Lola erhalten würde, war spätestens da absolut klar.

Die Verleihung hatte also etwas Vorhersehbares. Sicher, die Pointen der Moderatorin Barbara Schöneberger waren, solange sie nicht von ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft sprach, immer wieder wunderbar respektlos. Ob man der Lola nicht einen internationalen Namen geben könnte, fragte sie, da doch so viele der nominierten Filme internationale Koproduktionen seien. „The Golden Lola“ zum Beispiel, aber das, so Schöneberger, „versteht dann wieder unser Außenminister nicht.“ Angela Merkel machte ein etwas unglückliches Gesicht, als sie das hörte; sie saß zwischen Bernd Neumann und Bernd Eichinger, der am Freitagabend den Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den deutschen Film entgegenahm. Schöneberger war es auch, die am Ende, als Angela Merkel im Begriff war, zu ihrem Sitz zurückzukehren, herrschte: „Frau Merkel, Sie werden jetzt nicht die Bühne verlassen.“ Und Angela Merkel machte brav kehrt.

Aber worum geht es beim Filmpreis? Um die Vergabe von 2,85 Millionen Euro Fördergeld aus dem Bundesministerium für Kultur an Filmschaffende, damit diese neue Projekte entwickeln und verwirklichen können. Man muss Angela Merkel dankbar sein für die Klarheit in ihrer kurzen Rede: Dieses Geld gehört nicht der Akademie, es handelt sich um Steuergelder. Die Filmbranche kann in Deutschland produktiv sein, weil sie sich aus zahlreichen Fördertöpfen bedient, und einer ist der Filmpreis.

Gegen diese Alimentierung ist erst einmal nichts einzuwenden, wohl aber dagegen, wie die Gelder eingesetzt werden. Seit 2005 entscheidet die Akademie in einem mehrstufigen Auswahlverfahren, wer ausgezeichnet wird, zuvor war es eine vom BKM bestellte Jury. Vor fünf Jahren wurde noch kontrovers diskutiert, ob es legitim ist, dass die öffentlichen Gelder so umstandslos an die Branche gehen, die sie dann selbst unter sich verteilt. Heute stellt dies kaum jemand mehr infrage, vermutlich allein schon deshalb nicht, weil das alte Verfahren zu ganz ähnlichen Konsensentscheidungen führte wie die Voten der Akademie.

Der Autorenfilm bekommt nur dann Preise, wenn er bereits welche bekommen hat

Trotzdem zeigen die zehn Preise für „Das weiße Band“, dass etwas im Argen liegt.

Ginge es tatsächlich darum, zukünftige Filmprojekte zu fördern, bräuchte es einen Modus, der die nicht sowieso schon erfolgreichen Filme stärker berücksichtigt. Reinhold Vorschneiders Kamera in Benjamin Heisenbergs Film „Der Räuber“ ist großartig – warum kann sie nicht mit einem Preis belohnt werden? Maren Ades Beziehungsfilm „Alle Anderen“ ist auf eine viel subtilere Weise politisch als „Die Fremde“ – warum kann das nicht honoriert werden? Ganz zu schweigen von all dem, was überhaupt nie vorkommt – Romuald Karmakars oder Thomas Heises Dokumentationen und Essays beispielsweise, die es nie in die engere Auswahl schaffen.

Die Filmakademie versteht sich zwar als Vertretung des gesamten deutschen Film, grenzt sich aber immer wieder gegen alles ab, was ihr zu spröde und zu sperrig erscheint. Der Autorenfilm der 70er-Jahre ist kein positiver Bezugspunkt, das wurde spätestens deutlich, als Senta Berger und Günter Rohrbach, die scheidenden Akademie-Präsidenten, die Laudatio auf Bernd Eichinger hielten und dabei dessen Anti-Autoren-Politik positiv hervorhoben. Der Autorenfilm der Gegenwart wiederum ist nur dann preiswürdig, wenn er wie „Das weiße Band“ bereits überall mit Anerkennung und Preisen überschüttet wurde. Warum tut sich die Akademie so schwer mit dem, was nicht konsensfähig ist, warum sieht sie rot, sowie sie es mit Kunst und Kritik zu tun bekommt? Im vergangenen Jahr etwa hätte sie, statt Vicco von Bülow den Ehrenpreis zu verleihen, den inzwischen verstorbenen Werner Schroeter ehren können. Das wäre ein Zeichen gewesen: Man verschließt sich der künstlerischen Extravaganz nicht. Man erkennt an, dass es da draußen eine Welt jenseits des gefälligen Arthouse-Kinos gibt. Solange die Filmakademie zu dieser Integrationsleistung nicht in der Lage ist, steht es nicht gut um ihre Legitimation, die Preisgelder zu verleihen.