Strohfeuer Ruhr.2010

LANDTAGSWAHL Die Kulturförderung in NRW mickert im Vergleich mit Bayern oder Sachsen. Auch im Wahlkampf spielte Kultur nur eine untergeordnete Rolle

Fest steht, dass die kulturelle Grundversorgung in NRW dringend zur Chefsache gemacht werden muss

Das Mantra der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ hat inzwischen den säuerlichen Beigeschmack eines längst abgelaufenen Verfallsdatums. Denn während die PR-Maschine von Ruhr.2010 dröhnend für die zahllosen Projekte der fett gemästeten kulturellen Einjahresfliege trommelt und die Region als lebendiges, vor Kreativität wimmelndes Kulturzentrum preist, steht zeitgleich gerade die kulturelle Grundversorgung vor dem Abgrund. Angesprochen auf Ruhr.2010 gab unlängst der scheidende Intendant des Essener Grillo-Theaters ein „Wechselbad der Gefühle“ zu Protokoll, was die Absurdität der Situation eher noch beschönigt. Denn der Wahnsinn einer Kulturhauptstadt, der demnächst womöglich die Kultur ausgeht, hat Methode.

Gerade in Essen, dem Zentrum von Ruhr.2010, ist die Lage tatsächlich ernst. Wie in den ebenfalls hoffnungslos überschuldeten Städten Wuppertal, Moers oder Mülheim soll auch hier besonders in der „freiwilligen Leistung“ Kultur deutlich mehr gekürzt werden als in anderen Bereichen. 45 Millionen Euro beträgt der Zuschussbedarf für die Essener TUP-Dachorganisation, unter der sich das Aalto-Theater, die Philharmonie und das Grillo-Theater versammeln, bis 2013 sollen davon 7 Millionen, also 16 Prozent eingespart werden. Wer weiß, dass in jedem Theaterhaushalt bis zu 90 Prozent der Kosten Fixkosten sind, kann sich ausrechnen, dass die Häuser in ihrer jetzigen Struktur 2013 dann zwar spielbereit dastünden, aber keinen müden Cent mehr für die Kunstproduktion übrig hätten. Kommt es zu den Einsparungen, könnten die Häuser dem nur begegnen, indem sie die Produktion und den Spielbetrieb radikal runterfahren, keine Gäste mehr einkaufen und weniger Experimente wagen. Insbesondere für die Aalto-Oper, die ihre Existenzberechtigung mit einer Auslastung von 90 Prozent unterstreichen kann, wäre das mehr als bitter.

Dabei ist die finanzielle Schieflage der Städte ja eben nicht hausgemacht. Sie ist vielmehr die Folge der stetig steigenden Lasten – allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz kostet Essen jährlich 15 Millionen Euro – die der Bund den Kommunen aufgebürdet hat. Und die werden durch die geplanten Kulturkürzungen, die in den jeweiligen Haushalten letztlich nur Peanuts sind, aber Handlungsfähigkeit vorgaukeln wollen, nicht wirklich leichter. Tatsächlich stehen die Kommunen finanziell mit dem Rücken zur Wand und werden ihre Finanzkrise unmöglich allein bewältigen können.

Es ist höchste Zeit, über grundsätzliche strukturelle Änderungen im Umgang mit der Kultur nachzudenken, denn die Kommunen sind durch Kulturkürzungen ohnehin nicht zu retten und riskieren damit bloß leichtfertig den Ausverkauf von Lebensqualität und einen schwer wieder rückgängig zu machenden Verlust ihrer Identität. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht, die nächst höhere politische Instanz, das Land NRW, ist gefragt.

Jedem Kind ein Instrument

Hatte nicht Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) zu Beginn seiner Amtszeit die Kultur zur Chefsache ausgerufen und – immerhin! – den bis dato mehr als kläglichen Kulturförderhaushalt des Landes von 70 auf 140 Millionen Euro verdoppelt und sich mit ambitionierten Initiativen wie JEKI (Jedem Kind ein Instrument) nur allzu gern im Image des generösen Kulturförderers gesonnt? Bei Lichte betrachtet, ist die Kulturförderung in NRW verglichen mit anderen Bundesländern auch nach der Aufstockung noch immer kläglich. Während Sachsen pro Kopf und Jahr 92 Euro für die Kultur übrig hat, sind es in NRW gerade einmal 15,99 Euro. Über 80 Prozent der Kulturkosten tragen in NRW die Kommunen, bei den Theatern sind es sogar 90 Prozent. Eine Neuverteilung der Finanzierung scheint unumgänglich. Selbst mit der vom Kulturausschuss des Städtetags NRW geforderten deutlichen Erhöhung des in NRW weit unterproportionalen Landesanteils an den kommunalen Betriebskostenzuschüssen für die Theater auf 20 Prozent würde NRW nicht einmal die Hälfte der Quote erreichen, die in Bayern gilt.

Die Sparkrise in der Kultur wäre somit also eigentlich ein heißes Wahlkampfthema. Doch ist von Kultur irgendwie so gar keine Rede im Wahlkampf gewesen, allenfalls über Bildung beharken sich die Parteien öffentlich und in den Wahlprogrammen mickert die Kultur auf den letzten Seiten, sozusagen unter „Vermischtes“ zwischen dem Schulobstprogramm und den Bürgerbussen vor sich hin. Dabei hat sich der öffentliche Unmut ob der drohenden Spar- und Schließungsszenarien längst formiert, der Bürgerwille macht sich regelmäßig in Protestdemos Luft und die Unterschriftenlisten wachsen stündlich.

Handlungsbedarf ist offensichtlich. Die Diskussionen über eine Neuverteilung der Finanzierung in NRW werden zwar bereits geführt, doch kommen aus den politischen Lagern wenig eindeutige Signale, geschweige denn konkrete Festlegungen, wie dem drohenden Kultur-Desaster begegnet werden soll. Im Moment sprechen die Umfragewerte in NRW für ein Patt, niemand weiß, ob Rüttgers sich halten wird oder ein Wachwechsel im größten Bundesland vor der Tür steht, in welcher Koalitions-Kombination auch immer.

Fest steht einzig, dass die kulturelle Grundversorgung in NRW dringend zur Chefsache gemacht werden muss und nicht weiter der Schacherei klammer kommunaler Kämmerer überlassen werden darf. Sonst droht Kommunen wie Essen nach dem Glamour der Großveranstaltung Ruhr.2010 ein Szenario der traurigen Reste eines abgebrannten Festival-Feuerwerks in einem Umfeld von Kulturruinen.

REGINE MÜLLER