Geld spricht

THEATERTREFFEN 2010Stoff liefert die Finanzkrise

Am Ende wird es sogar reden, das Geld. In Elfriede Jelineks Finanzmarktposse „Die Kontrakte des Kaufmanns“, die sich das heute beginnende Theatertreffen 2010 als den glamourösen Schlusspunkt für das Festival (am 24. Mai) aufgehoben hat. Dann wird es spotten und in zurückgelehnter Arroganz „16 Prozent Rendite und das haben Sie geglaubt?“ fragen, während sich in Nicolas Stemans Inszenierung die Akteure nach und nach auf die Schienen einer Spielzeugeisenbahn legen, die mit einer Kamera auf der Lok langsam auf ihre Gesichter zufährt. Nie war ein Untergang so schön getimet.

„In einem wachen Regisseursgehirn schlägt die Uhr immer Endzeit“, schreibt Wolfgang Höbel, Redakteur beim Spiegel und einer der sieben Kritiker, die als Juroren für das Theatertreffen durch die Lande reisen, im Begleittext zur diesjährigen Auswahl. Die Krise fiel ihnen als Thema sozusagen in den Schoß, serviert von den Regisseuren und TT-Dauergästen Steman, Kimmig, Marthaler, Perceval, Simons und erstmals auch von Karin Beier, Regisseurin und Intendantin aus Köln. Wo nicht Horvath und Fallada mit klassischer Absteigerliteratur als Vorlagen dienten, ins Herz der Verlierer zu schauen, da tat es für Karin Beier ein Film von Ettore Scola, „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“.

Womit man beim zweiten großen Thema der diesjährigen Auswahl wäre, dem Experimentieren mit Formen und ihrer Auflösung. Beiers „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ spielt in einem Glaskasten, man sieht der Verschwisterung von Armut und Niedertracht von außen zu und versteht kaum ein Wort. Der Zuschauer selbst wird zum gemeinen Voyeur des Elends, eine moralisch gemeinhin vermiedene Position. Dem Theater fast ohne Sprache in der Kölner Inszenierung steht auf der andern Seite der Sprachrausch der größten Außenseiter des Festival gegenüber, der New Yorker Off-Off-Gruppe Nature Theatre of Oklahoma, die mit einer Koproduktion vom Burgtheater Wien kommen: „Life and Times – Episode 1“ beruht auf einem 20-stündigen Telefongespräch und Zufallsprinzipien, die an die Stelle der Autorschaft rücken.

Die fetteste Krise ist dem Künstler nichts wert, dient sie nicht auch dem Zertrümmern von Konventionen der Theaterbilder und Erzählweisen. Das ist so ungefähr die Klammer, unter der sich die Erwartungen an die zehn nach Berlin eingeladenen Inszenierungen verbinden lassen. Aber schließlich sind Erwartungen dazu da, von der konkreten Erfahrung unterlaufen zu werden. KATRIN BETTINA MÜLLER