ZWISCHEN DEN RILLEN

Beim Songwriting hat Matthew Houk das Country-Radio der Kindheit vor Augen: Es ging darum, Hörer und Songs sicher nach Hause zu schaukeln

Nur geträumt: Die Landstraßenmusik des Matthew Houk

Ein Label hat den Countryrock von Matthew Houck einmal mit den Worten angepriesen: „Musik, so wie sie gehört werden sollte“. Historisch gesehen waren kommerzielle Interessen bei Americana zweitrangig. Auch Matthew Houk scheint unbeeindruckt von Trends wie Weird-Folk. Dem 31-jährigen Singer-Songwriter aus Alabama geht es andererseits nicht um selbstbequeme Traditionspflege. „We’ll be here soon“ heißt einer seiner Songs. Houk denkt mindestens so oft an die Zukunft, wie an die Vergangenheit. „Here’s to taking it easy“, Houks neues Album unter dem Namen Phosphorescent, beackert ein Territorium, das zwischen einer historischen und einer fantastischen Realität angesiedelt ist. Die Songs klingen ähnlich mühelos wie die der Byrds oder die eines Willie Nelson. Und trotzdem wahrt Houk mit seiner Musik Abstand zu den Originalen, denn er nährt sich zu gleichen Teilen von Gelebtem, Fantasiertem und Geträumtem. Inspirationen, so erklärt Houk, beziehe er aus der Erinnerung dessen, wie er als kleiner Junge im Autoradio Country gehört habe.

Wie könnte Countryradio damals ausgesehen haben? Wahrscheinlich sprach aus vielen Countrysongs der mächtige Eindruck der Landschaft, in der sie entstanden sind. Manche werden religiöse Untertöne gehabt haben, bei anderen klopfte der Teufel in Form von Alkohol, Drogen oder Liebesgeplänkel an die Tür. Die schmutzigen Details sind bei laufendem Motor gar nicht genau zu entziffern. Auch wenn das Sakrale thematisiert wird, wichtiger ist die Funktionalität. Deswegen geht es im Countryradio auch darum, dass die Gitarrenverstärker anständig aufgedreht sind, um Songs und Zuhörer gleichermaßen sicher nach Hause zu schaukeln.

In den Neunzigern waren Bezüge zur Old-time Music bei Interpreten wie Will Oldham oder Smog bestenfalls als Abschwünge des desolaten Lebens zu haben. Jede Form von Normalität war zugunsten von Psychodrama getilgt. Bei Matthew Houk bleibt die Harmony-Korine-artige Hässlichkeits-Ästhetik dagegen ausgespart. Dass er seine Songs aus der weißen heterosexuellen Perspektive schreibt, macht ihn wahrscheinlich verdächtig, aber deswegen ist er noch lange nicht Mainstream-kompatibel in einer Welt, in der „Brokeback Mountain“ oder die Dixie Chicks Erfolge feiern.

Houks Liebeslieder sind unaufdringlich, frei von pathetischer Möblierung. So ergreift sein Text-Ich nie Besitz von Personen, es lebt vom flüchtigen Moment.

Zentral ist die Musik, um die alles Übrige kreist. Jeder Phosphorescent-Song hat ein, zwei hochkonzentrierte Ereignisse, einen Bläsersatz hier, einen Gitarrenhook da, an denen Stimme, aber auch Texte vorbeiziehen. Matthew Houk ist ein Drifter. Seine Heimat hat er schon lange verlassen, ganz abstreifen kann er sie jedoch nicht. „It’s hard to be humble (when you’re from Alabama“ ist der Auftaktsong von „Here’s to taking it easy“ betitelt. Großstädte würden alle gleich aussehen im Regen, heißt es da. Und die Herkunft aus Alabama würde schon deutlich, wenn man seinem Namen ausspreche. „Humble“ kann „bescheiden“ bedeuten, aber auch „ärmlich“. Der Songtitel ist doppeldeutig, denn Houk stammt aus bescheidenen Verhältnissen.

Nach Zwischenstationen in Georgia und Los Angeles lebt er nun in Brooklyn und hat Anschluss an eine vitale Musikszene um Bands wie Dirty Projectors gefunden. Begonnen hat seine Karriere in der Lobby einer Jugendherberge in Austin. Dort spielte er, um Geld für eine Übernachtung zusammenzubekommen. Eine zufällig anwesende britische Konzertagentin erkannte sein Talent und buchte ihn auf eine Tour durch England.JULIAN WEBER

■ Phosphorescent: „Here’s to taking it easy“ (Dead Oceans/Cargo)