IN POLEN
: Auferstehung feiern

„Trinken Sie das für mich“, sagte K.

Wir fuhren Richtung Osten; die Landschaften zogen so vorbei, während K. erzählte. Von diesem Mann, einem Tischler und Misanthropen, den es vor einigen Jahren aus Berlin in die polnische Provinz verschlagen hatte. Dieser Mann also sei immer in seinen ältesten, oft verdreckten Klamotten herumgelaufen. Das Hemd aus der Hose. Ein Bein nachgezogen. Leicht gebückt oft. Er hätte gesagt, du musst den Leuten das Gefühl geben, noch ärmer als sie zu sein, sonst werden sie neidisch und böse.

Eines Tages aber sei der Tischler wie verwandelt gewesen. Wie aus dem Ei gepellt, stets frisch gewaschen, sei er durch die Dorfstraßen gelaufen. Aus dem Misanthropen war ein glücklicher Mensch geworden. Seine Frau hätte sich entschieden, zu ihm zurückzukommen und auf dem Dorf gemeinsam ihren Lebensabend zu verbringen, hatte er K. erzählt und gefragt, ob dieser nicht Lust hätte, mit ihm ein Bier zu trinken; auf sein neues Leben anzustoßen.

Nein, leider hätte er grad keine Zeit, hatte K. gesagt; vielleicht später. Bald darauf war der Tischler tot. Statt ein Bier zu trinken, war er spazierengegangen. Und an einer Kurve überfahren worden. Der Fahrer war betrunken gewesen, und K. hatte sich schuldig gefühlt.

„Hätte ich mit ihm ein Bier getrunken, wäre das ja nicht geschehen.“ Und ein paar Tage später sei er, also K., zu diesem Dorfladen gegangen, um einzukaufen. Die Ladenbesitzerin, mit der er oft geschwatzt hatte, sei ganz bleich geworden, als sie ihn sah, und hätte ihn völlig entgeistert angestarrt. Als wäre er ein Geist.

Sie hatte ja gehört von dem Menschen aus Berlin, der überfahren worden war, und hatte gedacht, es hätte sich um meinen Freund gehandelt – wie hatte sie um ihn geweint.

Und K. hatte eine Flasche Wodka gekauft und sie der Frau gegeben und gesagt: „Trinken Sie das für mich, um meine Auferstehung zu feiern.“ DETLEF KUHLBRODT