ZWISCHEN DEN RILLENHouse für Konzertbühnen: Neues von Booka Shade und Tiefschwarz

Im Grunde reicht eine einzige Bewegung, um die Hallen zu füllen

Es ist Zeit, auf der Bühne Powerbooks abzufackeln. Und zwar „live“. Vielleicht wäre damit der ewige E-Mail-Leser-Vorwurf, mit dem sich Produzenten elektronischer Musik stets bei Auftritten konfrontiert sehen, aus der Welt. Und für öffentlich zelebrierte Produktionsmittelvernichtung winken obendrein Hendrix’sche Rockstarlorbeeren.

Ihrem Erfolg als Live-Act nach zu urteilen, sind Booka Shade heiße Anwärter auf die Poleposition. Die aus dem Saarland stammenden, über Frankfurt in Berlin gelandeten Arno Kammermeier und Walter Merziger sind aber nicht Macho genug, um jeden Rockismus mitzumachen. Ihr Modell ist dem der Depeche-Mode-Rampensau nachempfunden: von klassischem Synthie-Pop durchwirkte House Music, die live überraschend gut funktioniert. Wer mit jedem Track eine Schubkarre voller Hooklines auf die Bühne kippt, braucht keine Mitsingtexte anzubieten. Zur Präsentation des neuen Booka-Shade-Albums „More!“ pilgerten unlängst mehr als tausend Zuschauer in die Berliner Astra-Konzerthalle, sie würden die Stücke auch in onomatopoetischer Imitation sofort erkennen.

Dumdumdidum: „Body Language“, der große Klassiker. Aia ia aia: „Sex Dwarf“, der Gimmick-Hit, der das Album eröffnet. Booka Shade haben immer noch mehr Melodien, noch mehr Tanzhallen- und Freiluftkompatibilität – und in einem Stück wie „Bad Love“ sogar ein paar von Gastsängern getextete Zeilen zum Mitsingen. Elektronische Tanzmusik? Ja, aber für Leute, die sich in Technoclubs verloren fühlen, weil sie nicht wissen, in welche Richtung sie gucken sollen. Merziger und Kammermeier kennen das Problem – schließlich spielten sie in Popper-Bands, bevor sie in Frankfurt den Rave entdeckten – und haben eine frappierend einfache Lösung dafür gefunden. Im Grunde reicht ihnen eine einzige Bewegung, um Konzerthallen zu füllen. Wenn aber Arno Kammermeier, der neben Merziger am elektrischen Schlagzeug steht, mit seinem Arm ordentlich ausholt und auf die Becken drischt, macht es „splash!“ – so zuverlässig und nachvollziehbar wie bei jeder Garagenband. Das Aufführungsdilemma live aufgeführter elektronischer Tanzmusik: Hier ist es auf einen Schlag gelöst.

Breitwandkino

Booka Shades Schwäche für Breitwandkino trifft sich mit der trippigen Grundstimmung des neuen Albums von Tiefschwarz. Während „More!“ bunt leuchtet und schillert, haben die schwäbischen Brüder Ali und Basti Schwarz gemeinsam mit ihrem neuen dritten Partner, Philipp Maier alias Santè, einen Film noir im Kasten. „Chocolate“ lebt von der „optischen Täuschung im Ohr“, wie Ali Schwarz das nennt: einer Synästhetik für stilbewusste, gern ein wenig slick frisierte Tänzer. Bemerkenswerter als die Integration von Jazztexturen und akustischem Instrumentarium in ihrem trocken wippenden Groove ist allerdings die Behauptung, die Tiefschwarz mit ihrem dritten Album verknüpfen: Ab sofort sind wir eine Band. Waren die Brüder seit rund 15 Jahren als DJ-Duo bekannt, das sich nie in der umstrittenen Disziplin des Laptop-Sets versuchen wollte, stellen sie sich nun als Musiker auf die Bühne, mit Videoprojektionen im Rücken und Gastsängern aus dem Sequenzer.

Bemerkenswert ist, dass die Musik kaum an Konzertbedingungen angepasst wurde. Auf „Chocolate“ ist die von Tiefschwarz bekannte Tech-House-Ästhetik zu hören, und das Brüderpaar betont, dass nach wie vor Clubästhetik die prägende Matrix für ihre Musik abgibt. Mitsingqualitäten müssen die Tiefschwarz-Tracks jedoch noch unter Beweis stellen. Bleibt abzuwarten, ob auch Basti Schwarz, der seine Trommelstöcke vor 20 Jahren zur Seite gelegt hat, um fortan die Regler am Mischpult zu bedienen, den Kammermeier-Touch hat. Eine Bewegung, und es macht splash! ARNO RAFFEINER

■ Booka Shade: „More!“ (Get Physical, Cooperative Music/Universal)

■ Tiefschwarz: „Chocolate“ (Souvenir/ Word and Sound, Alive)