Nachruf auf den Maler Sigmar Polke: Scherz, Satire, Ironie, tiefere Bedeutung

Flamingos malen! Er war einer der fantasievollsten, witzigsten und experimentierfreudigsten Künstler der Gegenwart. Zum Tod Sigmar Polkes, den Meister des Stilpluralismus.

Polke am 7. April 2005 im Kunsthaus Zürich. Bild: dpa

Als Olafur Eliassons Stern, das heißt seine Sonne 2004 in der Tate Modern aufging (wobei die sichtbaren Lampen und das Kabelgewirr die Illusion vom endlich museumsreif gewordenen Himmelskörper Lügen strafte), da hebelte dort ein anderer, schon längst großer Star der Kunstszene noch eleganter unsere trügerischen Hoffnungen auf die Versprechungen der künstlerischen Avantgarde aus. Sigmar Polke beschwor und manipulierte in seiner groß angelegten Retrospektive "History of Everything" die Wirklichkeit mit allen Mitteln der Kunst, um sie - wie die artistischen Mittel, ihrer habhaft zu werden - zu Staub zu zerbröseln. Ganz in der Art und Weise, mit der er schon frühzeitig die Rechnung "1 + 1 = 3" aufgemacht hatte, was eine große deutsche Bank daran hinderte, die entsprechende Zeichnung zu kaufen - schließlich wolle man ja seine Kunden nicht verunsichern. Oder nicht vorwarnen, wie wir heute, nach der Finanzkrise mutmaßen. So oder so, Spekulation war offensichtlich nie das Ding der Bank, denn schon bald, und dazu dauerhaft, belegte der Künstler einen der vorderen Plätze auf allen wichtigen Listen der international bedeutenden Künstler und seine Bilder erzielten auf dem Kunstmarkt Preise in Millionenhöhe.

Sigmar Polke wurde am 13. Februar 1941 in Oels in Niederschlesien geboren. 1945 floh seine Familie nach Thüringen und übersiedelte 1953 erst nach Westberlin und dann nach Düsseldorf. Dort begann er eine Glasmalerlehre, auf die Polke mit den Kirchenfenstern aus dünn geschliffenen Achatsteinen zurückkam, die er zuletzt, 2009, für das Grossmünster in Zürich fertiggestellt hat. Von 1961 bis 1967 studierte er dann an der Kunstakademie in Düsseldorf, unter anderem bei Joseph Beuys.

Ein Seitenhieb auf den Lehrer ist denn auch das 1966 entstandene Arrangement aus Vitrinen, merkwürdigem Material und seltsamen Schaubildern auf einer filzüberzogenen Tafel: "Ich stand vor der Leinwand und wollte einen Blumenstrauß malen. Da erhielt ich von höheren Wesen den Befehl: Keinen Blumenstrauß! Flamingos malen! Erst wollte ich weitermalen, doch dann wusste ich, dass sie es ernst meinten." Konsequent machte sich Polke an ein paar plüschige Flamingo-Zeichnungen, und 1969 schließlich an das Bild, das mit seinem Namen synonym werden sollte: "Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!"

Doch Polke war alles andere als ein One-Hit-Wonder. Er gehörte im Gegenteil nicht nur zu den fantasievollsten, witzigsten, sondern auch zu den experimentierfreudigsten Künstlern der Gegenwart. Auch als "Meister des Stilpluralismus" punktete er regelmäßig; was man durchaus wörtlich nehmen durfte, denn es waren seine in den 60er Jahren entstandenen Rasterbilder, die seinen Ruhm als Malerstar des 20. Jahrhunderts begründeten. Für sie übernahm er mit dem Zeitungsmotiv auch das Punktraster des Zeitungsdrucks in seine Malerei, wo er es so erfolgreich aufblies, dass einem in der Konsequenz immer wieder Leute unterkommen, die von den traditionellen Polka-Dots als Polke-Dots sprechen.

In seinem Atelier arbeitete der Künstler wie in einem chemischen Labor; er experimentierte mit Silbernitrat, verschiedensten Lacken, Kunstharz, Schellack oder Eisenglimmer; daneben faszinierten ihn die billigen modernen Kopier- und Druckverfahren. 1986 zeigte Sigmar Polke im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig wärmeempfindliche Bilder, die je nach Tagestemperatur in anderen Farben leuchteten, wofür er mit den Goldenen Löwen geehrt wurde.

"Clique", "Pop" und "Politik" hießen, gut begründet, die Themen der Wechselausstellung mit frühen Polke-Arbeiten, die kürzlich in der Hamburger Kunsthalle lief. "Clique", dafür steht zum Beispiel die 1963 mit Gerhard Richter und Konrad Lueg im Düsseldorfer Möbelhaus Berges organisierte Ausstellung "Leben mit Pop - Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus", die keineswegs eine Beschwörung, sondern die Kritik am Durchmarsch der Moderne war, Pop-, Minimal- und Concept-Art inklusive. Und wie den Pop, persiflierte Polke auch das politische Zeitgeschehen in seinem künstlerischen Werk über die Aufreihung der gängigen - von ihm nicht nur gerne grob gerasterten, sondern auch grob kommentierten - Klischees. Sigmar Polke ist am Donnerstag im Alter von 69 Jahren in Köln gestorben.

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