Literarisches Colloquium: "Da musst du die Luft rauslassen"

Für zwei Tage trafen sich arrivierte und junge Schriftsteller beim Literarischen Colloquium. Sprechen über Literatur: tiefergehängt, pragmatisch, am Handwerk orientiert.

Ufermauer am Wannsee, mit Reiher. Bild: frollein2007 – Lizenz: cc-by-sa

Alle Literaturhäuser sollten so etwas machen. Ein bis zwei Dutzend Autorinnen und Autoren für zwei Tage einladen, Mittagessen bereitstellen, abendliches Grillen organisieren, alle haben 20 Minuten Zeit, einen Text vorzulesen, danach wird jeweils 20 Minuten diskutiert, ein paar Medienvertreter dürfen Mäuschen spielen, fertig. Solche Werkstattgespräche sind nicht sehr teuer und eine gute Sache.

Im Literarischen Colloquium Berlin gibt es so etwas. Die Veranstaltung nennt sich aus historischen Gründen "Tunnel über der Spree" (es gab im 19. Jahrhundert eine prägende literarische Gesellschaft in Berlin, die so hieß) und fand dieses Jahr am Montag und Dienstag dieser Woche statt. Alte Hasen waren dabei und Autorinnen und Autoren, die gerade mehr oder weniger weit auf dem Weg sind, sich einen Namen zu machen. Außerdem lasen Burkhard Spinnen, Katja Lange-Müller, Judith Schalansky und David Wagner selbst keine eigenen Texte vor, saßen aber im großen Saal des LCB mit am langen Tisch und beteiligten sich an den Diskussionen.

Es war gelegentlich seltsam, ihnen allen beim Suchen und Finden eines angemessenen Sprechens über Literatur zuzuhören; gerade in diesen Tagen. Irgendwo da draußen tobten Koalitionskrise und Zeitungsalltag und röhrten die Vuvuzelas, hier drinnen, mit Blick auf den Wannsee, herrschten Gruppendynamik und Textinnerlichkeit. Aber interessant war es allemal.

Was man als Beobachter mit nach Hause nehmen konnte: zum Beispiel die im Grunde banale, aber auch lustige Erkenntnis, dass man als junger Autor keine seiner Figuren aus Hildesheim kommen lassen darf. Weil alle Leser denken würden, das sei eine Anspielung auf den dortigen Literaturstudiengang von Hanns-Josef Ortheil. In einem der Texte kam so eine Hildesheim-Verortung vor, und alle Diskutanten am Tisch bestätigten sich, dass sie sofort an den Studiengang gedacht hatten.

Außerdem konnte man sich als Beobachter ins Notizbuch schreiben, dass die selbst geschriebenen Mythen der Gruppe 47 inzwischen sehr weit in die Vergangenheit gerückt sind. F. C. Delius las einen Abschnitt aus der längeren Gruppe-47-tagt-in-Princeton-Erzählung vor, an der er gerade schreibt, und fragte besorgt in die Runde, ob das nicht zu sehr nach "Jetzt erzählt der Alte mal aus seinem Nähkästchen" klinge. Doch gerade die jüngeren Teilnehmer fanden das gar nicht. Sie fanden im Gegenteil, dass er noch viel ausführlicher und unmittelbarer aus dem Nähkästchen plaudern könnte. Auch die legendärsten Momente der Gruppe 47 sind längst exotisch geworden.

Die Frage ist ja schon länger, was an ihre Stelle treten könnte. Beim "Tunnel" wurde man Zeuge eines sympathetischen Sprechens über Literatur, aus dem man sich durchaus Anregungen für das öffentliche Sprechen über Bücher mitnehmen konnte. Vor Jahren soll es bei dieser Veranstaltung noch hoch hergegangen sein. Nach 68 wurde politisiert, klar. In den frühen Neunzigern war auch Sascha Anderson mal dabei gewesen, und Ost- und Westautoren haben sich sofort in die Haare gekriegt. Das alles war dieses Jahr nicht der Fall. Man ließ die Texte nebeneinander stehen und kritisierte nur immanent.

Katja Lange-Müller brachte die Vereinbarung, die sich wie von selbst hergestellt hatte, auf den Punkt: "Es geht hier darum, einem Text in seiner Eigenart auf die Höhe seiner Möglichkeiten zu verhelfen, nicht darum, die Eigenart zu ändern." Es wäre ein Fehler, das als neue Lauheit oder Langweiligkeit zu interpretieren. Vielmehr kommt jetzt erst der Werkstattcharakter der Veranstaltung voll zum Zug.

Nimmt man die Veranstaltung dieser Woche symptomatisch, kann man feststellen: Wenn Autoren an anderen Autoren etwas loben wollen, tun sie das kurz und unverschwiemelt und reden von einer "schön geschlossenen Tonlage" oder einer "sprachlich hohen Durcharbeitung". Wenn sie etwas zu kritisieren haben, sagen sie: "Im Grunde suchst du eine ganz andere Figur", "Da musst du ein bisschen Luft rauslassen", "Da klappern die Genre-Scharniere", "Man spürt allzu deutlich Pflicht und Neigung" oder "Ich glaube, du musst etwas mehr diesem ,Show, dont tell'-Ding folgen." Vor allem Texte, die allzu dick auftraten, wurden freundlich, aber fein zerschreddert. "Wenn so Metaphern aufkommen, fragt man sich als Leser doch gleich: Wann kommt die nächste Schote?"

Gerade so ein tiefergehängtes, handwerklich-pragmatisches Sprechen über Literatur würde, denkt man, auch der Literaturkritik gelegentlich ganz guttun. Und beim Bachmann-Wettbewerb kriegt die Kritikerjury das eh viel zu selten hin; allerdings herrschen da auch hoher Öffentlichkeitsdruck und die Notwendigkeit, die Texte am Schluss in Preisträger und leer Ausgegangene zu hierarchisieren. Da muss man sich als Juror zwangsläufig mit Wichtiganalysen und Entdeckungsjubel aufblasen.

In der vergangenen Jahren hat der Literaturbetrieb vor allem an der Erneuerung seiner Marketingmaßnahmen gearbeitet. Mit dem deutschen Buchpreis wurde ein neues Instrument gefunden. Solche Werkstattgespräche wie diese Woche im LCB sind gute Mittel, um daneben die ständig nötige innere Erneuerung der Literaturlandschaft nicht nur den Schreibschulen und Klagenfurt zu überlassen. Wie gesagt, alle Literaturhäuser sollten so etwas machen.

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