Vom Himmel zum Monitor

FOTOGRAFIE Wolken, Zeppeline und Ansichtskarten erzählen in „Skies and Seas“ im Museum für Photographie Braunschweig von romantischen und wissenschaftlichen Sehnsüchten

Surreal leuchten die knallorangefarbenen Adern, die das schwarze Geröll auf Hawaii durchziehen

VON GESINE BORCHERDT

Wolkenforscher klingt nach Traumberuf. Auf Bergspitzen und an Meeresufern den Blick in die Ferne schweifen lassen, die Flocken am Himmel beobachten und in Zirrus, Stratus und Kumulus einteilen: Ende des 19. Jahrhunderts war das für Naturwissenschaftler großartiges Neuland.

Der Schotte Ralph Abercromby reiste um die Welt, um die geografischen Eigenheiten von Wolken zu erfassen – nur um festzustellen, dass Wolken überall gleich aussehen. Der Meteorologe Albert Riggenbach hielt seine Forschungsergebnisse in dem ersten Wolkenatlas fest. Und was der Japaner Masanao Abe von seinem Labor auf dem Fuji aus hundertfach ablichtete, um Bewegungen und Aufbau seiner Studienobjekte zu begreifen, wurde Anfang der 1960er Jahre Gegenstand von Satellitenaufnahmen – und damit in abstrakte Weltraumgebilde, Grafiken und Zahlentabellen verwandelt. Der Blick wanderte vom Himmel auf den Monitor. Trotzdem: Beiden Bildformen wohnt ein Zauber inne. Bis heute haben Wolken immer mit Träumen zu tun. Wer schaut schon auf die schwebenden Gebilde, ohne sich insgeheim mit ihnen davonzuwünschen? Die Wissenschaftler sehnten sich allerdings vor allem nach einem: Aufklärung über die Natur.

Die Dokumente solcher Sehnsüchte sind nun in Form von alten Fotografien und vergilbten Nachschlagewerken in der Ausstellung „Skies und Seas“ im Museum für Photographie Braunschweig zu sehen. Sie verströmen die morbide Ästhetik vergangener Wissensproduktion, der sich auch der Künstler Helmut Völter nicht entziehen konnte: Ihm gehört diese umfangreiche Sammlung von Wolkenstudien. Platziert in Vitrinen und auf die Wände des kleinen klassizistischen Torhauses gepinnt, in dem sich das Museum befindet, deckt sie den Drang der Forscher nach einer Klassifizierbarkeit von Naturerscheinungen auf – und damit eine akribisch-manische Haltung, die dem Abtauchen des Künstlers in andere Welten gleicht. Überhaupt besitzen Wolken eine Nähe zur Kunst: In ihrem utopischen Potenzial, aber auch in ihrer Funktion als Sitzkissen für Engel in Renaissancegemälden, als bedrohlich-erhabene Naturgewalt in der Malerei der Frühromantik, als abstrakte Formationen bei William Turner oder in gegenstandsloser Malerei von Mark Rothko bis Gerhard Richter.

Erlösung durch Technik

Die Bewunderung der Natur durch den Menschen und der Wunsch, sich ihrer zu bemächtigen, ist der rote Faden durch die Archive, die für „Skies und Seas“ von drei bildenden Künstlern geöffnet wurden. Günter Karl Bose greift mit seiner Sammlung von Zeppelinfotografien die technischen Erlösungshoffnungen der Moderne auf. Wie Zigarren schweben die federleichten Giganten in den Himmeln der postkartengroßen Schwarz-Weiß-Fotos, die zwischen 1924 und 1937 entstanden sind. In privaten Fotoalben und alten Kartons, auf dem Flohmarkt oder bei Ebay wurden sie gefunden. Ähnlich der inszenierten Fotografien von Fördertürmen und Gasometern von Bernd und Hilla Becher verströmen auch die Zeppelinschnappschüsse – 250 von insgesamt etwa eintausend – in ihrer seriellen Aufreihung eine minimalistische Ästhetik, mit der sie eine ganze Museumswand füllen: Diese Dichte vermittelt den Kollektivtraum der Zwischenkriegszeit, bis ihn die Katastrophe der Hindenburg am 6. Mai 1937 platzen ließ und das Ende einer Technikutopie einläutete.

Was passiert, wenn Natur und Technik aufeinanderprallen, zeigt auch Axel Töpfers Sammlung nachkolorierter, exotischer Ansichtskarten aus dem frühen 20. Jahrhundert: Nagasakis moderner Hafen und Bauern auf dem Feld, der Berg Fuji und Landschaften aus Vulkangestein auf Hawaii sind aus immer wieder gleichen oder leicht verschobenen Perspektiven fotografiert. Die Nachbemalung der Motive hat besonders in der Wiederholung einen seltsamen Effekt: Surreal leuchten die knallorangefarbenen Adern, die das schwarze Geröll auf Hawaii durchziehen, dem Betrachter entgegen. Sie lassen die Aufnahmen wie eine infernalische Todeszone aussehen. Auch die Bilder von Nagasakis Feldern und Hafenbecken scheinen die Apokalypse vorwegzunehmen: In neongiftiges Gelb, Blau und Grün getaucht, strahlen die Bilder derart künstlich, als wüssten sie, was mit dem Abwurf der Atombombe durch die Amerikaner am 9. August 1945 auf sie zukommen sollte.

Tragisch und romantisch

Vielleicht auch deshalb erscheint die Installation der Postkarten in filigranen Holzgestellen, die den Blick auf die teilweise mit Urlaubsgrüßen beschriebenen Rückseiten gewähren, wie ein Hinweis auf die Zerbrechlichkeit, die im Erleben und in der Erinnerung solcher Motive steckt. Es ist ein tragisch-romantisches Moment, das alle drei Künstlersammlungen aufzeigen: Der vernunftgeleitete Blick des Menschen auf die Natur birgt stets den Wunsch, ihr Geheimnis zu enthüllen, sie zu begreifen und zu beherrschen. Und das unterscheidet die Archive der Künstler von denen der Wissenschaftler: Hier fasziniert das Rätsel, nicht dessen Lösung.

■ Bis 20. 6. Museum für Photographie Braunschweig