Ariel Pink: Der täuschend echte kalifornische Albtraum

Ob der nicht mehr ganz junge Mann im positiven Sinne verrückt ist oder komplett gaga, wird sich noch herausstellen. Was man jetzt schon sagen kann: Ariel Pink hat eine ausgeprägte Popneurose, die er mitsamt seiner langhaarigen kalifornischen Siegfried-&-Roy-Persona auch auf der Bühne auslebt.

Ariel Rosenberg, wie Pink mit bürgerlichem Namen heißt, schreibt seit seinem achten Lebensjahr Popsongs. Sein Leben scheint ausschließlich aus Hitsounds zu bestehen, wie sie in den ausgehenden Siebzigern und Achtzigern en vogue waren.

Entdeckt wurde Ariel Pink von der Band Animal Collective, die einige seiner selbstgebrannten CDs in loser Folge als „Haunted Graffiti“ veröffentlichte. Bis dahin hatte Pink zum Privatvergnügen musiziert. Die Rede ist von tausenden Songs. Doppelgängern von „She’s a maniac“, „Words don’t come easy“, oder „I like Chopin“ und dem Sondermüll des Popmainstreams. Anders als die von ihm anvisierte Hitfabrikation strahlt Ariel Pink natürlich keinen unerschütterlichen Optimismus aus. Er stellt eine Donald-Duck-Figur dar, über der ständig eine dunkle Wolke schwebt. Das wird er auch nicht müde wieder und wieder zu erzählen: „What is this thing / I call my mind / I look for things I can’t find / Why am I so far from the ground? / My voice is quiet but my thoughts are loud“, heißt es in dem Song „Bright lit blue skies“ auf seinem neuen Album „Before Today“. Skies (Himmel) reimt sich auf lies (Lügen).

Verstörendes findet in der Welt des Ariel Pink die gleiche Resonanz wie Romantisches. Da ist von Kindern die Rede, denen die Schuhe des Vaters eine Nummer zu groß sind. Also gehen sie Schuhe putzen. Wenn am Ende die Liebe siegt, ist es auch immer die Liebe zur Musik. Ariel Pink versucht die Musik vor ihren Bezügen zu retten. Das gelingt ihm mit den Texten, in denen er Rockmachismo grundsätzlich in Frage stellt. Er überlasse die Testosteronproduktion den Arschlöchern, hat er versichert. Dafür sprühen die Songs über vor Keyboard-Glitzerregen und genüsslich schmatzenden Slapbässen und den hingehauchtesten Dinner-Saxofonmelodien seit Grover Washington junior. So zahlreich sind die Einflüsse, dass er sie gar nicht alle verarbeiten kann, und deshalb wirkt es immer, als sei Ariel Pink mit sich und seiner Musik heillos überfordert.

Dieser innere Zwiespalt macht den Reiz von Ariel Pink aus. Er stolpert über postmoderne Ironie einfach hinweg. Und, nein, natürlich verfügt er nicht über die gleichen Produktionsmittel wie die Stars, die ihn zu seiner Musik inspiriert haben. Statt eines 72-Spur-Studios benutzt er einen mumpfigen Vierspurrekorder, der nach feuchtem Keller klingt; die Tonfolgen seiner Melodien bekommen durch Bandrauschen und Leiern einen eigenartigen Drall.

Inzwischen sind Haunted Graffiti zu einer richtigen Band geworden, die sich trotzdem redlich bemüht, nicht weniger nach Atomunfall zu klingen als die Vierspuraufnahmen. Allen voran Ariel Pink, der so tut, als schlendere er barfuß durch den Sand, dabei aber unter dem Pier sitzt. Jemand hat seiner Musik „holografische Menschlichkeit“ attestiert, die er aus den schnelllebigen Emotionen des Mainstreams extrahiert. Ariel Pink spendet Wärme, wo es vorher nur termingerechtes Autoscooter-Gebumse gab. Umgedreht kocht er Monstrosität auf menschliche Makel herunter. Seine Musik, sagt er, sei die Quintessenz von Kalifornien.

JULIAN WEBER

■ Ariel Pink’s Haunted Graffiti: „Before Today“ (4 AD/Rough Trade/Indigo), live: 19. 6. Köln „King Georg“, 20. 6. Berlin „Lovelite“, 21. 6. Hamburg, „Prinzenbar“