Der herrlich absurde Alltag

FARBIG DEUTSCH In ihrem ersten Stück widmet sich die afrodeutsche Schauspielgruppe „Label Noir“ alltäglichen Begegnungen mit Rassismus. Bei der Premiere in Eberswalde werden die Schauspieler mit ihren eigenen Klischees konfrontiert

Die Gruppe ist ein geschützter schwarzer Raum, in dem wir uns ausprobieren können

Die alte Dame mit Rollköfferchen läuft aufgeregt um die lesende junge Frau herum, dann setzt sie sich zu ihr auf die Parkbank und mustert sie neugierig. Die junge Frau ist in ihr Buch vertieft, beantwortet einen Anruf und bemerkt dabei, dass sie beobachtet wird. „Ist was?“ Die alte Dame bricht in einen Wortschwall aus: „Ich bin ja begeistert! Wie tadellos Sie Deutsch sprechen – weiter so!“ Sie kann es kaum glauben, dass ihre Banknachbarin Deutsche ist: „Also farbig und deutsch, beides zur gleichen Zeit?“

Mit Szenen wie dieser fesselt das erste Stück der afrodeutschen Schauspielgruppe Label Noir: „Heimat, bittersüße Heimat“. Und mit absurd übersteigerten Figuren, die in ihren verzweifelten Versuchen, nicht rassistisch zu wirken, nur von einem in das andere Fettnäpfchen treten. „Du bist bestimmt aus Guinea-Bissau“, quatscht eine alternative Jugendliche eine Geschäftsfrau an. „Du siehst nämlich genau so aus wie mein Freund – und der ist aus Guinea-Bissau.“

Trotz ihrer Absurdität sind es Szenen, die viele unterschiedliche Leben geprägt haben, etwa das der Berliner Schauspielerin und Stückautorin Lara-Sophie Milagro und die ihrer Kollegen, beispielsweise der Kölnerin Dela Gakpo oder dem Saalfelder Moses Leo. „Hier fragt uns niemand gleich nach unserer Familiensituation oder ob sie mal unsere Haare anfassen können“, sagt Milagro. „Die Gruppe ist ein geschützter schwarzer Raum, in dem wir uns ausprobieren können.“ Sie bietet gleichzeitig Freiheiten, um Rollen zu spielen, die spannender sind als die von Drogendealern, Kriminellen und Nutten, die ihnen als schwarzen Schauspielern regelmäßig angeboten werden.

Und das war für alle sieben Beteiligten ein Grund, im Herbst 2009 eine eigene Gruppe zu gründen, die nach der Sommerpause im September mit dem ersten eigenen Stück wieder durch einige Städte in Brandenburg touren wird. Wie stark die Reduktion auf das Klischee schließlich die eigene Wahrnehmung prägt, verdeutlicht Dela Gakpo mit einer Geschichte: „Als ich eine Krankenschwester für einen ‚Tatort‘ spielen sollte, blätterte ich durch das ganze Manuskript, um den Bezug zu meiner Hautfarbe zu finden. So weit war es schon gekommen.“ Den Bezug gab es nicht.

Symbolträchtig wurde „Heimat, bittersüße Heimat“ in Eberswalde zum Internationalen Antirassismustag zum ersten Mal aufgeführt. Eberswalde, wo vor zwanzig Jahren der Angolaner Amadeu Antonio Kiowa zusammengeschlagen und ermordet wurde. „Wir hatten schon ein bisschen Angst“, erzählt Lara-Sophie Milagro. Um sich sicherer zu fühlen, reiste die Gruppe geschlossen an und bestand darauf, gemeinsam untergebracht zu werden. „Wir wurden mit unseren eigenen Klischees konfrontiert: Eberwalde = Osten = strukturschwach = Nazis“, sagt Milagro. Als einziger Ostdeutscher versuchte Moses Leo einen Gegenpol aufzubauen „Nicht, dass ich gar keine Bedenken hatte, aber ich komme aus Saalfeld, und das ist das Gleiche in Grün.“

Der Abend wurde ein Erfolg und das Stück endet in tosendem Applaus. Erst spät in der Nacht, als alle auf der After-Show-Feier tanzten, fuhren zwei Autos vor. Einer der Neonazis im Auto rief: „Polizeikontrolle!“ und „Hier sollen sich Neger aufhalten.“ Der örtliche Veranstalter verstand es aber, sie zum Abzug zu bewegen.

Nach den herrlich komischen Sketches der ersten Hälfte irritiert der zweite Teil des Stückes, das Anfang Juni im Hofttheater Kreuzberg gezeigt wurde, weil er sich Beziehungsszenen und den Themen Liebe, Treue und Abstand widmet. Die Hautfarben der Paare sind nicht mehr erkennbar, obwohl man sich doch daran gewöhnt hat, über die niedlich-dummen Fragen der weißen Figuren zu lachen. Auch jetzt geht es immer wieder um zwei Figuren, doch sind nun beide gleichermaßen unsicher, verletzlich und auf der Suche nach Geborgenheit. Statt um Äußerlichkeiten wie die Hautfarbe geht es nun um universelle Fragen wie „Liebst du mich eigentlich?“ oder „Würdest du wissen wollen, wenn ich dir untreu war?“, die einen Ausweg aus den Täter-Opfer Rollen des Rassismus bieten. LALON SANDER

www.labelnoir.net