„AufZeichnungen“ eines Gefreiten

LINKES GEWISSEN DER NATION Erich Kuby war einer der wichtigsten Journalisten im Nachkriegsdeutschland. Eine Ausstellung im Willy-Brandt-Haus würdigt nun erstmals sein kaum bekanntes zeichnerisches Talent

VON JAN SCHEPER

„Du wirst viel Schlimmes durchzustehen haben, aber wenn das einer kann, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen, dann bist du es,“ schreibt Edith Kuby an ihren Mann. Gerade beginnt der Zweite Weltkrieg, und Erich Kuby wird in die marschbereite Wehrmacht abkommandiert. 1939 ist er nicht viel mehr als ein einfacher Soldat, der sich nur widerwillig von den Nationalsozialisten in eine Uniform stecken lässt. Später wird aus dem Gefreiten einer der profiliertesten Journalisten der neu gegründeten Bundesrepublik. Seine scharfzüngigen kritischen Gesellschaftsanalysen, u. a. für SZ, Spiegel, Stern, werden ihm den Titel „das linke Gewissen der Nation“ einbringen.

Der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus und die Friedrich-Ebert-Stiftung ehren den 2005 verstorbenen Kuby, der am 28. Juni 100 Jahre alt geworden wäre, nun mit der Ausstellung „Erich Kuby zum 100. AufZeichnungen 1939–1945“, die bis zum 5. September im Foyer des Berliner SPD-Stammsitzes zu sehen ist. Kuratoren sind Kubys zweite Frau Susanna und sein aus erster Ehe stammender Sohn Benedikt. Die Grundlage der Ausstellung bildet eine enge Verflechtung zwischen den erst im Nachlass aufgetauchten Zeichnungen Kubys und seinen zuerst 1975 im Berliner Aufbau-Verlag veröffentlichten, die Skizzen kommentierenden Kriegserinnerungen „Mein Krieg. Aufzeichnungen aus 2129 Tagen“. Ziel dieser Darstellung ist ein ebenso konsequenter wie eindrücklicher „Dialog“ zwischen Bild und Text des Kriegsberichterstatters Erich Kuby. Bemerkenswerterweise zeigen die Bilder nicht das unmittelbare Grauen des Krieges und dessen Zerstörungswut, sondern sind Abbilder der Reisestationen eines durch ganz Europa gescheuchten Soldaten.

Distanzierter Beobachter

Landschaftsaquarelle, karikaturartige Porträts und Bleistiftzeichnungen der jeweiligen Unterkünfte dominieren das Ausgestellte. Man begegnet dem Dom von Prüm in der Eifel, der Festung im französischen Brest, sieht Wachsoldaten beim Kartenspiel und bei der Nachtwache.

Kubys Blick ist dabei immer der eines distanziert wirkenden Beobachters, der, bewaffnet mit Tuschekasten und Kopierstift, die Eckpunkte seiner Wehrmachtsodyssee durch Frankreich, Ostpreußen und Russland auf allem festhält, was ihm unter die Finger kommt, vom Malblock bis hin zum abgerissenen Zettel. Strikte Genauigkeit bis in die Schattierungen hinein ist Kubys Markenzeichen, sofern ein erneuter Marschbefehl nicht dazwischenkommt und Bilder unfertig bleiben müssen.

Dieser Blick auf das von Gewalt und Tod dominierte Tagesgeschäft des Krieges erscheint häufig ebenso absurd wie friedlich. Doch diese klar skizzierte Objektivität stützt die die Bilder begleitenden Tagebuchkommentare und hat, so scheint es, Kuby möglicherweise Halt gegeben. Der Anspruch der Kuratoren, einen präzisen Dialog zwischen Bild und Text herzustellen, wird für den Betrachter ersichtlich. Wobei der Begriff des Dialogs dem der Diskussion weichen müsste. Denn Kubys Notizen sind bei Weitem nicht so zurückhaltend wie seine Bilder.

Er analysiert verbissen und vorausschauend die aktuelle Lage seines eroberungswütigen Heimatlandes bereits 1941: „Ich denke, der Krieg wird ihnen noch vergehen. Sie sehen die Raben nicht. Da haben sie diesen Groß-Raben-Wagner und pilgern nach Bayreuth, alle Jahre wieder dämmern ihre Götter, ihnen dämmert aber nichts.“

Fangen eines Flohs

Die eigene Rolle betrachtet er 1943 nicht minder schonungslos: „Meine Tagesarbeit bestand im Auskehren von ein paar Stuben und im Fangen eines Flohs, dem ersten meines Lebens, der mich vor seinem Tod übel zugerichtet hat. Das war meine Nützlichkeit fürs Vaterland. Ich sehe den Sieger voraus, der mich eines Tages fragt: Wie, so lange Soldat? Was haben Sie denn da gemacht? Stuben gefegt und Kartoffeln geschält, Sir, werde ich sagen. Und er wird weiter fragen: Und wer, bitte, hat Europa ruiniert? Ich Sir! Werde ich sagen.“ Gerade diese Dokumentation des Erlebten bringt dem 1910 in Baden-Baden geborenen Journalisten später vor allem Verachtung ein.

Die Wahrheit von einem, der nie – und genau darin liegt der untrügliche Wert der Aufzeichnungen – den Nazis nach dem Mund redete und überzeugter Gegner des Hitler-Regimes war, konnten Überzeugte und Mitläufer, die vergessen wollten, in den 1970er Jahren nicht ertragen.

Pünktlich zum 100. Geburtstag folgte nun im Aufbau-Verlag eine Neuauflage der tagebuchartigen Notizen. Heute sind diese die Ausstellung begleitenden Kriegserinnerungen ein ebenso mahnendes wie historisch lebendiges Dokument. Kubys Zeichnungen zeigen, wie aus dem skeptisch erzwungenen Blick eines Soldaten die Grundlage für einen streitlustigen Journalismus erwächst.

Willy-Brandt-Haus, bis 5. 9., Di.–So. 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei