Zimmer mit Aussicht

X-ROOMS JOHANNESBURG Die Fußball-WM nutzte das Theaterprojekt X-Wohnungen für eine Tour durch Townships und Rotlichtviertel

Entlang einer frischen Blutspur, über stinkende Rinnsale hinweg wird schnell klar: Hier leben Menschen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

X-Rooms, man hat uns gesagt, dass wir hierher gehen sollen. Ratlosigkeit vor einer Wellblechhütte in Soweto. Ein Blick ins Innere. Eine Anrichte auf schwarz-weiß kariertem PVC-Boden. Was jetzt? Die Frau, die ihren Kopf aus dem Eingang zu ihrer Behausung gestreckt hat, brüllt die Gäste an. Die fragen sich, ob sie falsch sind. Sie fragen das auch die Frau. Ihre Antwort: Das müsste ich schon selbst wissen, ob ihr falsch seid. Dann zeigt sie ihren Hintern. Wollt ihr mehr sehen? Was wollt ihr? Und wie viel wollt ihr zahlen? Und dann reicht es ihr. Wenn ihr nichts wollt, dann schert euch zum Teufel. Sie vertreibt die Gäste, indem sie andeutet, sie wolle den Inhalt eines Nachttopfes über sie ausgießen. Nächste Station.

Die Gäste vor der Wellblechhütte, es waren Theaterbesucher. Sie hatten sich Karten besorgt für X-Rooms Johannesburg. Sie wussten, dass sie sich auf einen theatralischen Rundgang durch Soweto befanden, dass an sieben authentischen Orten des Townships Performances für sie dargeboten wurden, an Orten, an denen die Menschen in Soweto leben. Und doch standen sie vor der Frau, die sie aus ihrer Behausung heraus anbrüllte, wie Vollidioten. Ja, die Performance war gut. Aber es gab noch einen Grund, warum die Zuschauer, die zu zweit von Performance zu Performance geführt wurden, an dieser Station besonders verunsichert dreinschauten. Es gab im Wortsinne kein Entkommen. Einfach weggehen? Und was dann? Alleine durch Soweto gehen? Als Fremder? Unmöglich. Es hieß warten auf die Männer oder Frauen mit den grauen X-Rooms-T-Shirts. Die führten die Besucher von einer Performance zur nächsten.

Testament der Angst

Angst. Das war eines der großen Themen von „X-Rooms Johannesburg“, das das Goethe-Institut zusammen mit dem Berliner Theater Hebbel am Ufer veranstaltet hat. Auf zwei Touren wurden die Besucher geschickt. Die eine führte durch Soweto, das stolze Township, mit der lebendigen Widerstandsfolklore, wo Wellblechhütten keine 100 Meter von einem Vier-Sterne-Hotel entfernt stehen, wo neuer Mittelstand ein spießiges Einfamilienhausidyll schafft, neben Bettlern und Händlern, die vom Verkauf einzelner Zigaretten überleben wollen. Die andere Tour führte durch Hillbrow, den als verrucht geltenden Stadtteil im Zentrum Johannesburgs. Drogen, Nutten, Anarchie – jeder, den man auf Hillbrow anspricht, hat dazu was zu sagen, auch wenn er noch nie da war. X-Rooms will Hillbrow und Soweto so zeigen, wie es für die Bewohner wirklich ist. Kann man da leben? Und wie? Und gilt als Memme, wer Angst hat vor den Vierteln?

X-Rooms Hillbrow. Station zwei. 150 Rand, das wären etwa 15 Euro. So viel soll das Zimmer Miete kosten, sagt die junge Frau. Sie zieht zu ihrem Freund, will alles dafür tun, Schauspielerin zu werden. Das erzählt sie. Das Zimmer ist ganz passabel und die Aussicht vom achten Stock aus, ist gar nicht übel. Es ist zwei Uhr Nachmittags. Die junge Frau trinkt Bier. Raucht eine nach der anderen. Die Wohnung müsste man sich teilen mit denen, die da hinter einem Vorhang irgendetwas machen und mit der Frau, die gerade durch den Flur läuft, es nicht mehr aufs Klo schafft und in den Flur kotzt. Und da ist da noch der Freund der jungen Frau. Der drückt sich irgendwas aus einer Alufolie in den Mund und brüllt auf seine Freundin ein. Dann schlägt er sie. Zwei Männer tauchen auf, die ihn zurückhalten. Sie schlägern sich. Ein Messer wird gezückt. Schreie schallen durch das Treppenhaus. Theater an den Orten, an denen die Menschen leben. Leben sie so? Nächste Station.

Und dann kommt sie wirklich. Ist das die Frau, die von drei Männern mit der Waffe bedroht wurden, die gefesselt wurde, die mit kochendem Wasser übergossen wurde, weil sie den Männern, die glaubten, sie hätte Geld, nichts geben konnte? Sie sagt es: Das bin ich. Zuvor war ihre Geschichte erzählt worden. Die Frau hatte einen Traum: Die eigene Wohnung. Es ist diese hier in Hillbrow. Beinahe hätte sie sie verloren, weil das Haus verkauft worden ist. Doch die Mieter taten sich zusammen, kämpften für ihre Wohnungen und setzten sich durch. Die Frau übernahm die Verwaltung, trieb die Nebenkosten von den Mietern ein. Es war dies das Geld, das die drei, die sie überfallen haben, von ihr wollten. Sie hat überlebt, weil zufällig Besuch kam. Das Geld treibt jetzt ein anderer ein, ein Mann. Die Frau hat ihr Leben, ihre geliebte Wohnung und ihren Sohn, der weiß, was seiner Mutter zugestoßen ist. Die nächsten warten schon. Ein Lächeln, ein Händedruck. Wie kann man nur von einer Wohnung in Hillbrow träumen? Nächste Station.

Es sind die dokumentarischen Momente in den Performances von X-Rooms, die besonders intensiv wirken. Auf dem Weg durch Hillbrow, durch Scherben, an Straßenhändlern vorbei und über angezapfte Stromkabel, die aus Laternenmasten herausgezogen wurden, auf dem Weg durch Soweto entlang einer frischen Blutspur, an winkenden Kindern vorbei, über stinkende Abwasserrinnsale hinweg, wird schnell klar: Hier leben die Menschen. Die Wandernden auf dem Theaterpfad glotzen sich das an, gehen zurück in die Welt, aus der sie kommen, und haben vielleicht etwas verstanden. Vielleicht.