Ausstellung: Panoptikum der Stile

Das Itzehoer Wenzel-Hablik-Museum widmet sich der polnischen Architektur der letzten 100 Jahre. Die ist erstaunlich unspezifisch - bis in die Gegenwart, in der sich die polnischen Architekten an Nordeuropa orientieren.

Postmodern und sehr europäisch: Bürohaus in Gdansk (Danzig). Bild: Museum

Es ist ein kleines, feines Haus, das sich dem Besonderen verschrieb: dem expressionistischen Gesamt-Künstler Wenzel Hablik, dessen Nachlass es seit 1995 birgt. Es ist ein privates Museum mit minimalem Personal, getragen von einer Stiftung, die Habliks Töchter 1985 gründeten.

Das Haus hat zwei Stockwerke, von denen eins dauerhaft dem 1934 verstorbenen Hablik gewidmet ist. Hablik war Maler, Graphiker und Kunsthandwerker. Er entwarf Stoffe, Möbel, Tapeten, sogar komplette Inneneinrichtungen.

Am bekanntesten sind seine frühexpressionistischen Entwürfe kristalliner Architektur. Gemeinsam mit seiner Frau, der Weberin Elisabeth Lindemann, betrieb er ab 1908 in Itzehoe eine Webwerkstatt, von der die Familie lebte. Denn Hablik war Entwerfer, nicht Ausführender, er war wenig praktisch veranlagt, auch recht unpolitisch: Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus ist ungeklärt. Er sei froh, dass er sich nicht habe positionieren müssen, hat er einmal gesagt.

Das Itzehoer Museum indes setzt auf Architektur und Design und gibt sich dabei weder konservativ noch scheu: Vom Bad-Design bis zur Moschee-Architektur reicht das Spektrum des Hauses, das im Erdgeschoss maximal drei Sonderausstellungen jährlich präsentiert - mehr ist finanziell nicht drin.

Diesmal ist es eine Schau über Polen geworden. "Polen Architektur" lautet der klobige Titel, und auch die Schau ist recht sperrig mit ihren riesigen Textbannern. Zudem löst der Titel sein weit reichendes Versprechen nicht ein. Denn genau genommen geht es um polnische Architektur seit Ende des 19. Jahrhunderts - und nicht etwa um Polens gesamte Architekturgeschichte.

Zudem beginnt man auf "typisch Polnisches" zu lauern, zumal der Einführungstext das suggeriert: Polen habe auch während jener 120 Jahre, in denen es zwischen Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt war, eine individuelle Architektur bewahrt, behauptet man da, ohne Beispiele zu nennen.

Flaniert man weiter, scheint eher das Gegenteil richtig: Hilflos wirken nämlich die Versuche etwa Stanislaw Witkiewicz, Ende des 19. Jahrhunderts einen polnischen Nationalstil zu schaffen: Ins Tatra-Gebirge gesetzte Gutshäuser hat er da großzügig mit Holzbohlen und folkloristischen Blumenmustern bestückt. Doch die Motive wirken beliebig, und das Gutshaus als Symbol polnischen Widerstands gegen Fremdherrschaft gewollt.

Józef Czajkowskis polnischer Pavillon für die 1925er Weltausstellung in Paris - garniert mit einem expressionistischen Kristallturm - wollte moderner sein, blieb aber unspezifisch. Beide landeten in der Mottenkiste der Geschichte.

Interessanter sind die 1930er Jahre mit ihren eher sozialreformerischen denn nationalistischen Ideen: Bauhaus-artig lichtdurchflutet waren jene Wohnungen, die etwa die Warschauer Wohnungsgenossenschaft in großen Blocks anlegen ließ. Die Fortsetzung dieser Ideen lieferte der Sozialismus. Prominentestes Beispiel ist Nowa Huta, jene 1949 als sozialistische Musterstadt erbaute Stahlarbeitersiedlung bei Krakau. Frühe Fotos zeigen optimistische Bauarbeiter, spätere anonyme Beton-Wohnkästen in großer Zahl. Die Itzehoer Ausstellung kommentiert die Kluft zwischen Idee und Realität nicht: Nachkriegspolen "eignete sich vorzüglich als Übungsplatz der modernen Utopie" steht da nur.

Doch auch die geographische Lage der Stadt war kein Zufall: Bewusst hatte man die Arbeiterstadt Nowa Huta neben das konservativ-katholische Krakau platziert, dessen Intellektuelle als wenig Sozialismus-affin galten. Und natürlich sollte Nowa Huta keine Kirche haben. Doch die Bewohner bestanden darauf.

Die Itzehoer Ausstellung spart diese Episode aus und verpasst so eine Chance, Architektur als Politicum zu präsentieren. "Spezifisch polnisch" ist die hier präsentierte Architektur des Sozialismus zudem nicht.

Das bleibt auch nach 1989 so - was verwundert, hätten die Ideen jetzt doch frei fließen können. Dies aber geschah eher im Kleinen: Bis heute sind nur 20 Prozent der Fläche Polens in Flächennutzungsplänen erfasst; Vorgaben für Art und Gestaltung der Bebauung fehlen. Die Folge: ein buntes Panoptikum an Stilen.

Die zeitgenössische Elite dagegen orientiert sich auffallend stark an Nordeuropa und baut Privathäuser im nordeuropäisch-funktionalistischem Stil - so ästhetisch wie verwechselbar.

Aber was heißt schon "unverwechselbar"? Muss unbedingt eine "typisch polnische" Architektur gebaut werden? Welcher Selbstvergewisserung sollte die im sich einenden Europa dienen? Tastende Versuche einer Synthese von Tradition und Moderne gibt es ja: den polnischen Pavillon für die japanische Expo 2005 etwa, ein Mix aus Korbgeflecht und Stahl. Markant auch das "Museum des Oppelner Dorfes", das Holz mit Glas kombiniert und die Hallenform traditioneller Bauernhöfe aufgreift. An die höchste Stelle hat man Glas gesetzt, um den Blick zum Himmel zu öffnen. Auch dies erinnert an Nordeuropas Architekten und ihr Spiel mit Glas und Licht. Vielleicht bahnt sich hier eine inspirierende Nord-Ost-Achse an.

Bis 15. 8., Itzehoe, Wenzel-Hablik-Museum.

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