Bayreuther Festspiele: Laborratten im Sturm der Buhrufe

Mit Hans Neuenfels' Neuinszenierung von Richard Wagners "Lohengrin" begannen am Sonntag die Bayreuther Festspiele - die ersten nach Wolfgang Wagners Tod.

Das Rattenbild bleibt dem Lohengrin-Stoff äußerlich, und wenn es auch etwas Bewegung, Farbe und Humor ins sonst eher steife Chorbild bringt. Bild: dapd

"Nie sollst du mich befragen!" Unbedingt und ohne Rücksicht auf Namen und Herkunft soll die Liebe sein, die der Schwanenritter Lohengrin von Elsa von Brabant ersehnt. Welch ein Traum, nur um seiner selbst willen geliebt zu werden, und welche unmögliche Forderung zugleich: nicht wissen zu wollen, wer das ist, den man ins Herz schließt.

Mit einer Neuinszenierung von Richard Wagners "Lohengrin" begannen die Bayreuther Festspiele am Sonntag, die ersten nach Wolfgang Wagners Tod, zum zweiten Mal unter der Leitung seiner Töchter. Um Rang und Namen dreht sich viel in Bayreuth, vielleicht beinahe alles. Nirgendwo sonst machen Zaungäste und das Publikum selbst so lange Hälse, um zu sehen, wer denn in den Pausen zwischen den Akten im VIP-Bereich dinieren geht. Aha, der Horst Seehofer und Minister zu Guttenberg sind da, Stoiber und Westerwelle, ja, tatsächlich, da ist auch sie, Angela Merkel. Und Showprominenz, hast du die auch gesehen, fragt ein Besucher seine Gattin, die enttäuscht verneint. Es scheint doch enorm wichtig, erzählen zu können, wer noch da war, als würde die eigene Bedeutung steigen mit der Bedeutung der anderen Gäste. Kein Wunder, dass die Politprominenz diesen Auftrittsort liebt, zumal hier für sie ihre Sommerpause beginnt.

Auch das gehört zum Ritual Bayreuth: Hier, in der fränkischen Provinz, geht der Vorhang hoch, wenn nicht nur Stadttheater und Opernhäuser Spielzeitpause haben, sondern auch die Politik. Man könnte fast auf die Idee kommen, dass gerade deshalb in der Festspielzeit so gern verquere Hochkulturideen losgetreten werden, weil die, die jetzt zum Schauen kommen, im Alltag keine Zeit für Kultur haben. Den Bayreuther Festspielen, die nie etwas anderes als Wagner spielen, kommt dieses selektive Sehen womöglich zugute. Fällt nicht so auf, wie schmal das Segment von Kultur ist, in dem man sich hier bewegt.

Das scheint die Exklusivität der Festspiele viel eher auszumachen als die große Kompetenz in Sachen Wagner, die Orchester, Chor und Publikum hier zusammenbringen. Die Leidenschaft, mit der im Festspielhaus applaudiert und gebuht wird, hört sich an, als ginge es noch immer ums große Ganze, darunter ist Wagner eben nicht zu haben.

Für Hans Neuenfels, der zusammen mit dem Dirigenten Andris Nelsons und dem Bühnenbildner Reinhard von der Thannen den "Lohengrin" inszeniert hat, muss das ein merkwürdiges Déjà-vu gewesen sein: nach so vielen Jahren als begehrter Opernregisseur noch einmal solch einen Sturm von Buhs auf sich gezogen zu haben.

Schuld daran sind sicher die Ratten beziehungsweise die rattenähnlichen Kostüme, in die Neuenfels und von der Thannen die Mannen und Frauen vom Chor stecken: Fast immer in großer Zahl auf der Bühne präsent, ersetzen sie das Bild der Gefolgsleute der Ritter, der Heerscharen des Königs Heinrich und der Elsa begleitenden Frauen. Mit ihrem Bild wollte Neuenfels einen kritischen Gegenwartsbezug schaffen, vom Verschleiß des Einzelnen als Laborratte erzählen, der anonymen (vermutlich kapitalistischen) Interessen geopfert wird. Allein das Rattenbild bleibt dem Lohengrin-Stoff äußerlich, und wenn es auch etwas Bewegung, Farbe und Humor ins sonst eher steife Chorbild bringt, so fehlt ihm nicht nur Bissigkeit, sondern auch Schlüssigkeit. Die Ratten wirken teils wie eine Notlösung, um jegliches Bild kriegerischer Aufrüstung zu umgehen, wenn vom "deutschen Schwert" und "deutschen Reich" gesungen wird. Ratten tragen keine Helme - damit sind sie aber noch nicht hinreichend legitimiert.

Doch dieser Schwäche zum Trotz gelingt Neuenfels und den Sängern eine auf der emotionalen Ebene sehr aufgeladene und konzentrierte Interpretation. Wie der Chor die Ängste und Vorahnungen von Elsa und Lohengrin spiegelt und ihre raren Momente des Glücks stets schon von Traurigkeit gerahmt sind: das ummantelt die ganze Inszenierung und lässt die kurzen Augenblicke von Liebe und Erfüllung als umso kostbarer aufscheinen.

Der Tenor Jonas Kaufmann und die Sopranistin Annette Dasch sind ein wunderbares Paar: Beide geben ihren Rollen, die mit viel mystifizierendem Ballast beladen sind, ein menschliches Maß und höchste Glaubwürdigkeit zurück, gerade in den Szenen der inneren Zerrissenheit Elsas. Die spitzen Klippen und schroffen Abgründe, die dagegen die Sopranistin Evelyn Herlitzius als Intrigantin Ortrud überwinden muss, stoßen wie harte Kristalle und spitze Schwerter in diese nach innen gekehrte Welt der Liebenden. Ungewöhnlich war der König Heinrich des Basses Georg Zeppenfeld angelegt: Ein Körper voller Verunsicherung und eine Stimme voller Stärke zeigten eben nicht den Souverän, der in seinem Führungsanspruch aufgeht, sondern einen stets auf Hilfe angewiesenen König, der die Zustimmung des Chores immer wieder sucht und erhält.

Wagner so überzeugend in eine psychologische Struktur zu übersetzen, dass das sakrale Brimborium der Nähe zu den Figuren nicht mehr im Weg steht, ist schon eine Leistung. Aber Neuenfels wäre nicht Neuenfels hätte er nicht mehr gewollt, nämlich eine zeitgemäße Übersetzung der Begriffe, die Wagner mit dem "Lohengrin" verband, nämlich von der Suche nach einer Wahrheit, die man letztendlich weder aushalten noch leben kann. Weshalb die Suche danach den Rittern der Mythen und den Künstlern aufgetragen ist, die nun stellvertretend für all die braven Bürger, die zum Selbstschutz vor der Wahrheit die Augen verschließen, leiden müssen und so weiter … Allein dieses philosophische und kulturhistorische Gerüst blieb in wenigen Schnipseln bloße Behauptung und kam in der Inszenierung viel zu selten zum Vorschein.

Das ist schade, gerade in Bayreuth, verdankt die Stadt ihren Ruf als Festspielort doch gerade diesem missionarischen und größenwahnsinnigen Gestus. Nach seinen bisherigen Regietaten beurteilt, wäre Neuenfels, ähnlich wie vor sechs Jahren Christoph Schlingensief, auch der richtige Mann gewesen, den kunstreligiösen Ursprung des Ortes ins rechte Licht zu setzen. Jedoch es scheint, die Ratten und was sich so an Assoziationen an sie heftet, haben alle Energie dafür verbraucht.

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