Wenig Gender drin

QUEERVERSITY Die Förderung des Berliner „Gender Kompetenz Zentrums“ läuft aus. Was will die Politik?

Professorin Susanne Baer, Juristin und Noch-Direktorin des Zentrums, kommentierte die vergangenen Jahre – auch Unangenehmes ließ sie dabei nicht aus

2003 war das Berliner „Gender Kompetenz Zentrum“ im Rahmen der Implementierung von Gender Mainstreaming in die Bundesverwaltung eröffnet worden. Mit Studien, Expertisen, Tagungen und Seminaren sollte es die Politik in Sachen Geschlecht beraten. Nicht zuletzt wegen des theoretischen Austausches mit dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung an der Berliner Humboldt-Universität (HU) sind die inhaltlichen Grundsätze gerade im bundespolitischen Kontext radikal: Geht es doch über Gleichstellung und Quotenpolitik hinaus um den Zusammenhang von Diskriminierung und verfestigten sozialen Identitäten. Geschlecht ist dabei eine der Kategorien, so es um soziale Differenzen und Privilegien geht.

Zum Start in die neue selbstständige Arbeit hatte das Zentrum am Donnerstag zu einer Tagung in Berlin eingeladen. Bereits der als Frage formulierte Titel „Politikberatung als Intervention?“ verwies auf die Spannung zwischen Geschlechtertheorie und politischem Geschäft.

Professorin Susanne Baer, Juristin und Noch-Direktorin des Zentrums, kommentierte die vergangenen Jahre. Unangenehmes ließ sie dabei nicht aus. Unschwer ist der kraftzehrende Drahtseilakt zwischen Autonomie und Dienstleistung zu erkennen, der am Zentrum nagte. Nach dem Politikwechsel 2005 habe man sich in eine „rhetorische Verteidigungshaltung“ zurückgezogen: Aus den Berichten an das Ministerium wurden die Worte Homophobie und Rassismus gestrichen. Man arbeitete unter den neuen Prämissen der Gleichstellungspolitik („Familie, Familie, Familie!“), gegen die man sich eigentlich verwahrte. Baers Fazit: „Vergisst man die Machtfrage, wird die Politikberatung in drei Sekunden erdrückend umarmt.“ In den sieben Jahren habe man lernen müssen, dass Gender zwar als Floskel „in“ sei. Im Sinne von Intersektionalität, also der Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen, aber „out“.

Renate Augstein, Vertreterin des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sah das ähnlich pessimistisch. Komplexe Zusammenhänge „im Bild-Zeitungs-Format zu verkaufen, daran scheitern wir.“ Schwierigkeiten beim Wissenstransfer kennen alle politisch Beratenden. Regine Frey merkt an, sie könne die theoretischen Anforderungen schlicht nicht „eins zu ein in die Beratung übersetzen.“ Ganz pragmatisch müsse man die Menschen dort abholen, wo sie stünden. Die Schwere der Kompromisse, die die anwesenden Beraterinnen – allesamt promoviert – eingehen mussten, hört man aus den Redebeiträgen heraus. Claudia Neusüß von der TU Berlin, mittlerweile ebenfalls in der Beratung tätig, geht noch weiter. „Ich verstehe mich als Reisebegleitung in Sachen Gender und Diversity.“

Wie eng aber die Grenzen eines Zugangs sind, der Geschlecht in Abhängigkeit zu anderen sozialen Kategorien wie soziale Herkunft, Alter oder Behinderung stellen, erläuterte Christian Schenk. Als ehemaliges Bundestagsmitglied berät er heute Fraktionen. Ein Beispiel sei die Diskussion um das Transsexuellengesetz, das Menschen, die ihr Geschlecht wechseln, noch immer zur Zwangssterilisation zwingt. Vehement sei die Ablehnung einer Reform des Gesetzes. Die Angst vor „dem Verstoß gegen die reproduktive Ordnung“ sei immens. Eine andere Tagungsteilnehmerin verknüpfte die Ablehnung mit den Privilegien, die mit dem Zweigeschlechtersystem einhergingen. Anders als auch ökonomisch nützliche Gleichstellungspolitik stellen Konzepte wie Transsexualität oder queer genau dies aber in Frage.

Vor diesem Hintergrund warnte Baer davor, sich vorschnell über die wachsende Einforderung von Geschlechtersensibilität in Politik und Wirtschaft zu freuen: „Wo Gender draufsteht, ist nicht immer Gender drin.“ Bemerkenswert ist, dass das selbstständige Gender Kompetenz Zentrums genau hier ansetzt. „Queerversity“ (Antke Engel) solle Geschlecht als Masterkategorie ablösen, Gender Mainstreaming als Vehikel zur Thematisierung anderer Diskriminierungen dienen. Die Rolle des Legitimationsbeschaffers braucht man so nicht zu fürchten. Ob aus dieser marginalen Position aber eine Intervention möglich ist? Zu hoffen wäre es.

SONJA VOGEL