DVDESK
: Das Sympathielenkungsgenie

Charles Chaplin: „Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris“. USA 1947, 119 Min., div. Extras, Arthaus, 11,99 €

Monsieur Henri Verdoux schult um. In Zeiten der heraufziehenden Wirtschaftskrise der Zwanzigerjahre verliert er nach 25 Jahren redlicher Arbeit seinen Job als Bankangestellter. Zu Hause hat er einen Sohn und eine an den Rollstuhl gefesselte junge Frau. Der alternative Geschäftszweig, auf den er sich wirft: Verführung älterer Frauen, Vielehe, Geld- und Erbschleicherei, Mord. Charles Chaplin spielt den Ex-Bankangestellten als Serienmörder selbst. Ausgangspunkt war eine Originalidee (und ein Drehbuch) von Orson Welles nach der wahren Geschichte des Serienmörders Landru, Chaplin aber machte als Regisseur und Drehbuchautor seinen eigenen Film aus dem Projekt: eine Mordskomödie, ganz wie es der Untertitel verspricht.

Was nicht zuletzt heißt: Die Hauptfigur, der ein bisschen ölige, aber durchaus einnehmende Frauenmörder Verdoux, ist eine fortwährende Irritation. Chaplin stattet ihn, auch ohne Stock und Melone, mit allerlei Manierismen seiner Tramp-Figur aus. Eine Mordversuchsszene im Ruderboot etwa ist eine Slapstick-Tour-de-Force eigener Art. Mit Strick und Stein will Verdoux eine seiner Frauen versenken. Sie wirft die Angel aus und zieht ihm unversehens den Hut vom Kopf. Zweimal blickt sie sich in letzter Sekunde, während Verdoux die Schlinge ihrem Hals nähert, um: Chaplin macht die vertrautesten Unschuldsmienen und Faxen. Im engeren Sinn komisch ist das eigentlich nicht.

Nun ist die übliche Chaplin-Mischung aus Slapstick, Sentimentalität und naiver politischer Botschaft schon in manchen seiner klassischen Filme nur bedingt zu ertragen. „Monsieur Verdoux“ setzt dem die Krone auf mit einer Hauptfigur, die durch all diese Register marodiert, ohne doch die volle Identifikation mit dem unglücklichen Helden zu erlauben.

Hilflos vor der Hauptfigur

Verdoux ist in gewisser Weise der große Diktator Hynkel und sein Friseur-Doppel in einer Person. So hat er bei aller nicht nur behaupteten Unschuld einen entschieden misogyn-zynischen Zug. Und weil der Film eher hilflos vor dieser Hauptfigur steht, überträgt sich das ungewollt auf ihn selbst. An einer der unheimlichsten Stellen mischt Monsieur Verdoux erst ein tödliches Gift und adressiert dann mit vereinnahmender Geste den Zuschauer fast wie eine der zu verführenden Frauen. „Monsieur Verdoux“ ist – sicher nicht unbedingt freiwillig – auch ein beunruhigender Film über das Sympathielenkungsgenie Chaplin.

Gelesen wissen will der seine Geschichte anders. Das wird umso klarer, je weiter er den historischen Rahmen aufzieht. Verdoux ist weniger Täter, so die These, als Opfer der Weltwirtschaftskrise und einer politischen Situation, in der der kleine Mann gar nicht anders kann, als sein Geld auf unredliche Manier, und sei es als Serienmörder, zu verdienen. Reich wird er nicht dabei, Frau und Kind sterben ihm doch, und noch Verdoux’ beste Tat bleibt ambivalent: Die eine Frau, der er, statt sie umzubringen, aus Sentimentalität das Leben gerettet hat, heiratet einen Munitionsfabrikanten und trägt so zur Verbesserung Mitteleuropas auch nichts bei. Damit die doch recht kühn zurechtgehauene Politbotschaft einleuchte, setzt es nicht nur die in seinen Tonfilmen notorischen überdeutlichen Chaplin-Monologe, sondern auch noch (nach einem Zeitsprung von rund zehn Jahren) Aufnahmen von Mussolini und Hitler, die jenen Krieg schüren, vor dessen Kontrasthintergrund die Untaten Verdoux’ tatsächlich vergleichsweise unscheinbar werden.

„Monsieur Verdoux“ war Chaplins erklärter Lieblingsfilm unter den eigenen Werken. An der Kasse erwies er sich als riesiger Flop, das amerikanische Establishment hasste ihn als linke Propaganda, wenigstens im Kritiker James Agee fand er einen glühenden Verehrer. Wie wenig dieses und andere Spätwerke Chaplins noch heute gelten, sieht man daran, dass sie erst jetzt in Deutschland in DVD-Editionen (bei Arthaus) zugänglich werden. Die sind immerhin mustergültig restauriert und ediert. Wer sich für die Fährnisse des zunehmend bitterbösen Komikers Chaplin interessiert, kommt um diese Filme ohnehin nicht herum.

EKKEHARD KNÖRER