Im Boot mit dem Götterboten

KOMMUNIKATION Von Leibniz über die Kybernetik zu den neuen Navigationssystemen: Eine kleine beeindruckende Bootsfahrt mit dem Philosophen Michel Serres

Trunken wurden wir von der Klarsicht des alten Mannes, der schöner strahlte als die Sonne an diesem Tag

Der Götterbote Hermes, die Kommunikation und der gebildete Dritte sind die Hauptfiguren in Michel Serres’ Philosophie, die alle eines gemeinsam haben: sie stehen für Verbindendes, sie haben eine Brückenfunktion. Und so war es besonders metaphorisch, dass der erste Auftritt Serres’ am Wochenende in Berlin aus einer zweistündigen Bootsfahrt auf der Spree bestand, unter zahlreichen Brücken hindurch. Eigens dafür war die „Don Juan“, die fast 80 Jahre alte Salonyacht von Werner von Siemens, vom Merve-Verlag und dem Haus der Kulturen der Welt gemietet worden, um den 80-jährigen französischen Wissenschaftshistoriker mit einer kleinen Gruppe Journalisten durch die Stadt zu fahren, in der er seit 25 Jahren nicht mehr gewesen ist.

In knapp zwei Stunden manövrierte uns Serres, Sohn eines Fluss-Schiffers und selbst zehn Jahre Kapitän auf See, durch die Meere seiner Philosophie: von Gottfried Wilhelm Leibniz über die Kybernetik zu den neuen digitalen Navigationssystemen. Trunken wurde die kleine Reisegruppe jedoch nicht, weil die „Don Juan“ hin und wieder ein wenig ins Schwanken geriet.

Trunken wurden wir von der beeindruckenden Klarsicht und dem Optimismus des alten Mannes, der schöner strahlte als die Sonne an diesem Tag, ganz so als ob er gerade selbst noch einmal die Geheimnisse der Schönheit dieser Welt entdecken würde, die er seit Jahren zu entschlüsseln und zu beschreiben versucht. Dass er die Botschaften des antiken Götterboten überhaupt verstehen könne, habe er der Entwicklung der Wissenschaft zu verdanken. Die sei heute so weit, dass die Gesamtheit des Wissens über die Menschheit einem Kind kommunizierbar sei.

Serres lässt sich von den Wogen der Poesie und der Musik tragen, um die Hintergrundgeräusche herauszuhören, den Stoff, aus dem die Gesellschaft gemacht ist. Getreu dem Motto Nietzsches, das Neue kommt immer auf Taubenfüßen, bestehe seine Philosophie darin, auf die Taubenfüße zu hören. Der Philosophie der Produktion, des Marxismus oder des Kapitalismus habe er eine Philosophie der Kommunikation entgegensetzen wollen, die die verschiedenen Gebiete der Sprache, der Künste und der Wissenschaft in Beziehung setzt. Aber nicht als disparate Elemente nebeneinander wie in einem Mosaik, sondern als Komposition. Zwar ist keine der Spreebrücken so schön wie die Rialto-Brücke und doch fand Michel Serres die Bootsfahrt auf der Spree angenehmer als eine in Venedig. Denn dort mache der Lärm der Vaporetti es unmöglich, sich zu unterhalten. Der Lärm war dann auch das Thema seines Vortrags im Haus der Kulturen der Welt. Dort erzählte Serres die Geschichte, wie Orpheus von den Bacchanten, Sybillen und Phytien lernte, was die Grundgeräusche sind, die unter dem großen Krach dieser Welt liegen. Und er erzählte es so, dass man ein mit großen Augen staunendes Kind wurde, das fasziniert dem Orakel lauschte, das die unendlichen kleinen Geheimnisse hinter der großen Erzählung entschlüsselte. DORIS AKRAP