Tanz im alten Hafen

AFROBEAT Sein einziges Konzert in Deutschland gab der nigerianische Schlagzeuger Tony Allen in Würzburg

Dass sich Arbeitsweltidylle und Naturromantik aufs Anheimelndste verbinden können, das weist sich erst bei Sonnenuntergang: Überm alten Würzburger Hafen, wo die Fische und die Schiffe längst schon schlafen, ist ein malerischer Weinberg in die Landschaft gepflanzt. Und oben auf den Hügelkamm wurde noch eine Villa draufgesetzt, die leuchtet dem Betrachter mitten ins Herz. Unten, am Seitenarm des Mains, steht ein alter Lastkran, der zum Denkmal nobilitiert worden ist – einst wurden hier Waren auf- und abgeladen. Nun werden hier andere Werte gehandelt, Kultur nämlich.

Seit vier Jahren findet der Würzburger Hafensommer statt. Die Bühne schwimmt auf dem Main, und doch ist das Publikum ganz nah, getrennt von den Stars nur durch einen Wassergraben. Das Programm ist so hochkarätig wie eklektizistisch – zwischen dem Philharmonischen Orchester der Stadt, Marianne Faithfull und dem Portico Quartet liegen nur wenige Tage, außerdem gibt es noch Kino, Tanztheater oder den Lokalmatador Michael Wollny.

Am Mittwochabend trat der nigerianische Schlagzeuger Tony Allen auf, und mit ihm wurde es nach einem verregneten Start ins Festival sogar ein wenig sommerlich. Jedes andere Wetter, seien wir ehrlich, wäre in Anbetracht dieser Musik auch ein Hohn: Tony Allen hat in den siebziger Jahren in Lagos zusammen mit Fela Kuti jenen Sound geschaffen, der in sich schon eine gewisse Hitze trägt und aus Jazz, Highlife, Funk und Soul ein brodelndes Genre namens Afrobeat amalgamiert: Allens polyrhythmisches Spiel ist nicht nur Motor, sondern die Seele dieser Revolution gewesen.

Wie Tony Allen mit entwaffnender Lässigkeit am Schlagzeug sitzt, kaum Oberkörper oder Arme bewegt und doch diese Effekte erzeugt – das lässt sich nur ungenügend beschreiben: Sein Spiel klingt nämlich so, als würden noch zwei weitere Schlagzeuger über dem Grundbeat improvisieren. Die rhythmischen Endlosschleifen versetzen einen schier in Trance, und doch kann man jede kleine Verschiebung, jeden minimalen Tempowechsel, all die kontrapunktischen Schläge, die das Repetitive gleichzeitig aufbrechen, wahrnehmen.

Es sind viele Grooves

„Let’s not talk too much. Let’s just get to the groove“, sagt Tony Allen. Aber es ist ja gar kein Groove, es sind viele. Die Band – drei Bläser, zwei Gitarristen, Bassist, Keyboarder und die Sängerin Audrey Gbaguidi – geben sich redlich Mühe, des Meisters Anweisung in die Tat umzusetzen. Allein der Wassergraben ist zu Anfang doch ein wenig zu breit, um die „Energien“ auch ins Publikum schwappen zu lassen. Einzelne Tänzer unter den Zuhörern werden von den Sitzenbleibern zur Räson gebracht – man könne nichts sehen, wenn hier gezappelt und gehüpft werde. Der Franke lässt sich nicht gerne vor der Nase herumtanzen. Und das ausgerechnet bei dem Stück „Celebrate“, dem Allen als Intro eine kleine Philosophie der Lebensfreude voranstellt, die vulgarisiert ungefähr so lautet: Man soll das Auf-der-Welt-sein gefälligst feiern! Mit der Zeit aber wird die Botschaft gehört, dann weiß noch der Hüftsteifste, was der Afrobeat geschlagen hat.

Tony Allen got them dancing. Gespielt werden vornehmlich Stücke seiner letzten beiden Alben. Allen gibt seinen brillanten Musikern dabei immer wieder die Möglichkeit, aus dem dichten Kollektivsound in ausgiebige Soli auszuscheren. Der 69-Jährige selbst scheint glücklich, nach diversen stilistischen Ausflügen zu seinen Anfängen zurückgekehrt zu sein, ohne sich dabei in nostalgische Gefühle zu verstricken. Er ist sich nicht nur seines Klassikerstatus bewusst, er ist auch einer jener Instrumentalisten, die auf der Bühne eine unglaubliche Vertrauenswürdigkeit besitzen: Wenn sich die Mitakteure seinen Patterns ausliefern und darüber zu schweben beginnen, kann eigentlich nichts schiefgehen. Eines wird jedenfalls klar: Es gibt Musiker, die füllen nicht nur einen Raum, die können einen ganzen Hafen mit ihren Ideen fluten. ULRICH RÜDENAUER