Endzeitliche Sommerfrische

UND NOCH ’N SCHLOSS Die Ausstellung „Schwarzgold“ versammelt die Berliner Off-Kunst-Boheme zur exzessiven Leistungsschau in einem morbiden Schloss bei Halle an der Saale

Also sprach Jonathan Meese: „Alle Demokraten werden sich im Kolosseum der Neutralität oder vorab selbst vernichtet haben: Diktatur der Kunst, herrsche …“

VON GUNNAR LÜTZOW

„Ausgesperrte – stürmt das Schloss! Weggesperrte – stürmt das Schloss! Ungewollte – stürmt das Schloss!“ So ließe sich tocotronisch die von Claudia Richter und Joanna Zawodzinska auf Schloss Beesenstedt bei Halle kuratierte Ausstellung „Schwarzgold“ zusammenfassen. Sie versammelt in sechzehn Räumen auf zweitausend Quadratmetern den harten Kern der einst um die Galerie „Maschenmode“ entstandene Berliner Off-Szene, die sich nun lose um Projekte wie das „Autocenter“ gruppiert. Mit Rücksicht auf Publikum und Medien werden ihre Arbeiten bisweilen um prominentere Positionen ergänzt. Sie reichen von den frühen Laibach, die noch von der Kunst der Diktatur besessenen sind, über John Bock, der vom Diktat des Nonsens befallen ist, bis zu Jonathan Meese, der von der Diktatur der Kunst deliriert.

Er tönt nicht nur bekannt großspurig als Performer seiner selbst in einer im Ballsaal präsentierten Videoinstallation zu einem stumpfen Techno-Beat von den Segnungen der totalen Kunst, er hat es auch nochmal in seiner eher undiktatorischen Klaue aufgeschrieben: „Alle Demokraten werden sich im Kolosseum der Neutralität oder vorab selbst vernichtet haben: Diktatur der Kunst, herrsche …“ Ähnlich niedlich sind, heute mit etwas Abstand, die bösen Jungs von Laibach anzuschauen, die in dem einst freimaurerischen Ritualen gewidmeten blauen Salon des Hauses auf Video noch einmal im Zustand von 1983 zu erleben sind. Auf die Frage des Interviewers, was sie denn so beruflich machten, antworten sie artig mit: „Wir singen das wahnsinnige Bild des Leids.“

Tatsächlich ziehen sich Schmerz und Subjektivität als roter Faden durch die als „Ort der Begegnung mit unserem eigenen Wahnsinn“ konzipierte Show. Da sind beispielsweise die krassen Blätter des manifest anti-britischen Berliner Exilschotten Andrew Gilbert, der in mal groben, mal feineren Strichen mit Tusche auf preiswertem Papier seiner Obsession frönt: dem Zulu-Krieg von 1879, den man in diesem Zusammenhang allerdings weniger als konkretes historisches Ereignis betrachten muss, sondern eher freudianisch als Repräsentation innerpsychischer Konflikte deuten darf, die dann ganz alteuropäisch im „wahren inneren Afrika“ ausgetragen werden.

Auch die subtilen, an mittelalterliche Stadtansichten erinnernden Arbeiten, die Astrid Sourkova gemeinsam mit einer großformatigen, zum schwarz-weißen Stadt-Banner der „zwei Weltseiten“ verfremdeten Leinwand präsentiert, dürften Seelenlandschaften sein – und wenn Aribert von Ostrowskis gigantische, mit Acryl auf kopierten Zeitungsseiten entwickelten Fabelwesen und Vogeltiere nicht direkt aus dem Unbewussten angeflogen kommen – woher dann? Auch die hinter der Bar platzierten, drei Meter hohen „Wächter“ von Werner Liebmann lassen schon auf den ersten Blick keine Zweideutigkeiten mehr zu: fliegende Phalli, sägende Zahnmonster und dergleichen mehr zieren die farbenprächtigen, irgendwo im Nirgendwo zwischen Wilhelm Nay und Cy Twombly angesiedelten Leinwände. Das reibt sich dann interessant mit der restaurativen bis repressiven Atmosphäre der Schlossanlage, die vom Erfinder der Heimatschutzarchitekltur, Paul Schulze-Naumburg, entworfen wurde.

Die Kuratoren haben es allerdings nicht bei der Auswahl radikal subjektiver Positionen belassen, sondern kombinieren diese dramaturgisch klug mit stark konzeptuellen Ansätzen, die all der rohen Kunst kühle Akzente entgegenstellen: Heike Kelters adaptiert ganz sachlich Botticelli, Rene Luckhardt fotografiert Aleister Crowleys Wandgemälde ab und der in Berlin und Los Angeles lebende Künstler Bara malt schlicht das Symbol des Sternzeichens Waage in Weiß auf sechs Quadratmeter magentafarbenes Epoxydharz, dessen matte Reflexionen den Rückfall der Gegenwart in ein gleichermaßen gefährliches wie verführerisches Spiegelstadium auf den Punkt bringt. Auf tocotronisch: „Kalt, modern und teuer!“

■ „Schwarzgold“, bis 17. August, Schloss Beesenstedt bei Halle (Saale)