Wer braucht schon den Weißenscheiß

SPEKTAKEL Die Geburt des Theaters aus dem Geiste der Party: Das deutsch-ivorische Festival „Rue Princesse“ im Haus der Kulturen der Welt bietet Hochleistungsperformances, Multimediales und Klassikervarianten

VON ANNE PETER

Ganz plötzlich mittendrin. Die pulsierenden Bässe hallen im Brustkorb wider. Ein paar Männer kreisen die Knie, ihre Hüften zucken. Mittendrin in einem euphorischen Tanzwirbel. Dabei hat das deutsch-ivorische Festival „Rue Princesse“ im Haus der Kulturen der Welt gerade erst begonnen. Die Tänzer heißen Shaggy Sharoof, SKelly, Gadoukou la Star, und sie besingen die Organisatoren und Geldgeber des Festivals, bitten sie auf die Bühne, tanzen demonstrativ ihre Handtaschen an – bis irgendwann jeder einen Geldschein zückt.

„Das ist Coupé Décalé“, erklärt einer. Dieser Musik- und Tanzstil wurde von Einwanderern aus der Elfenbeinküste in Paris entwickelt, für Monika Gintersdorfer, die Initiatorin des Festivals, ist Coupé Décalé auch eine Lebensform – und „das Beste, was ich seit Jahren gesehen habe“, wie sie neulich der Spex verriet. Die Produktionsmaschine ihrer zurzeit überaus erfolgreichen Künstlercombo Gintersdorfer/Klaßen, in der sie mit dem bildenden Künstler Knut Klaßen und dem ivorischen Choreografen Franck Edmond Yao zusammenarbeitet, läuft auf Hochtouren, eine Stückentwicklung jagt die nächste.

Einen Blick in die Werkstatt Gintersdorfer gewährt das Festival „Rue Princesse“, das im Frühjahr bereits in Abidjan stattfand und nach dem HKW nach Hamburg weiterzieht: ein dreitägiges multimediales Spektakel mit Theater, Modenschau, Videoinstallationen. Rue Princesse, so heißt die Amüsiermeile in der Küstenmetropole der Côte d’Ivoire; wenn es dunkel wird, soll das Nachtleben dort explodieren (taz vom 4. 5.). Unterstützt vom Goethe-Institut, hat Gintersdorfer deutsche Künstler nach Abidjan eingeladen; jetzt kommen die Künstler aus Abidjan hierher, und man hat nicht nur dort entstandene Produktionen, sondern natürlich auch Erfahrungen mitgebracht.

So erzählt Hauke Heumann, einer der deutschen Stammspieler Gintersdorfers, in der fröhlich-spöttischen Stereotypes-at-first-sight-Show „Weißenscheiß“, wie es war, in Abidjan anzukommen, wo die Leute in den Straßencafés sehr laut und mit sehr großen Gesten kommunizieren, kleine Jungs aber so leise auf ihn einredeten, dass er kein Wort verstand. „Die wollten Punkte machen“, klären die afrikanischen Mitspieler auf – Coolness-Punkte dafür, mit einem Weißen gesehen zu werden.

Abfeiern der Spontaneität

In der Gintersdorfer-Werkstatt ist alles im Fluss, Partikel der einzelnen Performances, die stets kulturelle Verschiedenheiten aufreißen, tauchen in anderen wieder auf, Impro-Material wird verschiedentlich gesampelt. So wie Gintersdorfer ihre Abende überhaupt eher lose skizziert und die Darsteller Variationen zugesteht. Und gerade dieses Festival, das von den Straßen und Marktplätzen Abidjans ins HKW verpflanzt wurde, macht diese transitorische Produktionsatmosphäre, die Geburt des Theaters aus dem Geiste der Party, durchaus erlebbar.

Das Abfeiern der Spontaneität hat auch seinen Preis: Tendenziell geht Energie vor Reflexion, Flüchtigkeit vor Tiefenschärfe, Differenz vor Differenzierung. In der „Macbeth“-Variante „Die Gesellschaft des Bösen“ ist Shakespeare nur peripherer Stichwortgeber. Dass dort Hexen, ein machthungriges Weibstück und ein Karrierist vorkommen, ist Anlass genug, um von Hexerpraktiken zu erzählen, die dabei helfen, den Boyfriend fernzusteuern. Anders als bei Gintersdorfers vorigen Arbeiten „7 % Hamlet“ und „Othello c’est qui“ eröffnen sich hier kaum Ambivalenzmomente, Aha-Effekte oder neue Perspektiven auf die bekannten Klassikermotive.

Dass man dennoch so gern zuschaut, liegt an der körperlichen Hochleistungsperformance, die Franck Edmond Yao, Gotta Depri, Hauke Heumann und Melissa Logan abliefern. Sie staksen großschrittig umher, zerren sich an den Bauchmuskeln, beißen in Tische und fallen auf allen vieren in Ekstase – Exorzismen, Bösartigkeitsbannung, Geisterbeschwörung? Gintersdorfers ivorische Darsteller haben das, was man gemeinhin mit „Präsenz“ umschreibt, jedenfalls im Überfluss, Körper, wie von einem Aufmerksamkeitsmagnetismus umgeben – womit man natürlich schon wieder bei wohlbekannten Klischees wäre.

Von der Power, die von diesen DJs, Tänzern, Musikern zweifellos ausgeht, kann man sich auch heute, am dritten Festivaltag, noch mitreißen lassen, bei einem Stück über „Die Kindertänzer“ von Abidjan oder bei Gintersdorfers kluger Übertreibungsshow „Betrügen“.

■ Termine: 4. 9. ab 19 Uhr im Haus der Kulturen der Welt