Militärische und wirtschaftliche Banditen

„Und der Engel spielt dein Lied“ – dieser Titel des Kriminalromans von Raúl Argemí spielt auf eine jüdische Legende an. Nach der spielt dir ein Engel erst eine süße Melodie, um sich später in einen Teufel zu verwandeln, der dir die Melodie rückwärts als Schreckenssound runterfiedelt.

Argemis Roman spielt 1978, in den Tagen der argentinischen Militärdiktatur. El Negro begibt sich zu Beginn der Handlung in das Büros des Polaco, um Rache an diesem Mafiosi zu nehmen. Rache für acht Jahre, die er im Gefängnis verbracht hatte, weil jener ihn verraten hatte. Zuvor hatte El Negro für Polaco schmutzige Geschäfte erledigen müssen, an denen auch Polizei und Militärs beteiligt waren.

Argemis Identifikationsfigur ist ein kleiner Gauner, der seinen Boss mit dessen Geliebter betrügt. Es handelt sich um eine Erzählung, bei der die politischen Verhältnisse im Hintergrund eine wesentliche Rolle spielen. Argemis Botschaft: In dieser Situation gab es in Argentinien niemanden, der auf der Seite des Rechts stand. So sind dem 1946 in La Plata geborenen Schriftsteller in seinem Roman die Kriminellen letztlich noch die Liebsten.

In mosaiksteinartigen Rückblenden erfahren die Leser vom Schicksal der Figuren, kleinen und größeren Gaunern, die es aus der Provinz in die Hauptstadt Buenos Aires verschlagen hat. Zum Beispiel polnisch-jüdischen Einwanderern, die sich ihre Freundschaft bewahren, obwohl der eine zum Berufsverbrecher wird, der andere zum politisch Oppositionellen.

Argemi hat selbst dem bewaffneten Widerstand in Argentinien angehört und war Mitglied des Ejército Revolucionario del Pueblo (ERP) gewesen. Er widersteht jedoch literarisch der Versuchung, seine negativen Helden in moderne Robin Hoods zu verwandeln. So liest sich sein Roman spannend und abwechslungsreich – eine eindrückliche Lektüre, die die Verstrickung des militärischen und ökonomischen Banditentums jener Jahre dokumentiert. KURT SCHARF

■ Raúl Argemí: „Und der Engel spielt dein Lied“. Aus dem argentinischen Spanisch von Susanna Mende. Unionsverlag, Zürich 2010, 192 Seiten, 16,90 Euro