Die Stadtnatur vom Parkplatz aus gesehen

WELTKULTURERBE Die Bamberger Gärtnerstadt gehört zu den ältesten urbanen Gärten. Doch diesen Schatz zu pflegen ist mühsam

Für die Süßholzgewächse war der Bamberger Gartenbau berühmt, bis nach Venedig wurden die Wurzeln verkauft

VON ISABEL METZGER

Der Anblick eines Gemüsebeets verleitet den Betrachter nicht unbedingt zu Verzückungsrufen. Ein bisschen Kartoffelgrün hier, ein paar Mistkäfer dort. Mehr ist eigentlich nicht zu sehen. Manche Städte hoffen aber auf einen Sehenswert der urbanen Landwirtschaft. Bamberg zum Beispiel. Der Stadtteil Gärtnerviertel, der derzeit rund 60 Parzellen lokaler Gemüsebauern beherbergt, soll zur Touristenattraktion werden. Der Plan: Bis zur Landesgartenschau 2012 soll der Stadtteil für auswärtige Besucher erschlossen sein, als Kulturgut und Fotomotiv.

Eigentlich erklärte die Unesco schon Anfang der 90er Jahre die Bamberger Gärtnerstadt zum Weltkulturerbe. Nur weiß es kaum jemand. Denn die alte Stadtstruktur erlaubt lediglich Sicht auf ein paar dicht an dicht stehende historische Gärtnerhäuser. Links neben der Diele waren einmal Vieh und Ackergerät untergebracht. Rechts wohnten die Gärtner. Heute sind die Häuser teilweise zu Studentenbuden oder Hofläden umfunktioniert. Die Beete liegen versteckt dahinter. Und ohne die machen auch die Häuser keinen Sinn. Gelangt man dann doch in die Gärten, öffnet sich eine eigentümliche Erfahrung: Man ist umschlossen von Stadt und gleichzeitig aus ihr ausgeschlossen.

Den Eigenwert der Gärten verkannte man selbst noch 1993 bei der Bewerbung um den Welterbestatus. Den bekam der Stadtteil nämlich eigentlich für seine gut erhaltenen Häuserzeilen. Wie alt die Parzellen sind, begann man erst 2002 zu ahnen. Archäologen entdeckten unter den oberen Schichten Abfallkammern und Vorratsräume, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Eine Karte, die um 1600 entstand, zeigt die bis heute erhaltene Parzellenstruktur. Dazwischen sind Zeichnungen von Süßholzgewächsen angebracht, für die der Bamberger Gartenbau berühmt war. Bis nach Venedig wurden die Wurzeln verkauft. Später wurde das Gewächs am Markt durch Zuckerrüben und Zuckerrohr verdrängt. Und die Bauern stellten allmählich auf Gemüse und Gewürze um.

Die Fläche schrumpft

Die Öffnung der Gärtnerstadt zum Fremdenverkehr wurde aus einer Not geboren. Denn in jüngster Vergangenheit ging die Zahl der landwirtschaftlich genutzten Parzellen radikal zurück. Die Fläche schrumpfte um rund die Hälfte zusammen auf eine Größe von noch rund sechs Fußballfeldern. „Ich will’s mal so sagen: Wenn wir jetzt nicht handeln, dann steht der Welterbestatus auf dem Spiel“, sagt Yvonne Slanz, die sich im Auftrag der Stadt um das Marketing der Gärten kümmert. „Fünf vor zwölf“ stehe es für das Viertel, so ist es in einem Forschungsbericht aus dem vergangenen Jahr zu lesen.

Von Slanz’ Büro aus sieht man auf eine Betonlandschaft. „Dort hinten“, sie deutet ins Betonmeer, „sieht man ein bisschen Grün der alten Gärten.“ Bis in die 1990er Jahre noch konnte man von ihrem Balkon in die Beete hinüberspucken. Dann wurde ein Großteil mit Wohnblocks zugepflastert. „Andere Wertigkeiten“, meint Slanz. Vor 50 Jahren hätte es unter den Gärtnern einen Aufschrei gegeben. Als Stadtplaner eine mehrspurige Verbindungsstraße durchs Viertel legen wollten, so erzählt man sich heute, wurden sie von den Bauern mit Mistgabeln empfangen. Heute geben immer mehr Gärtner ihre Parzellen auf. Zu unrentabel, keine Nachfolger.

Der drohende Verfall der Kleinstadtgärten mag deshalb verwundern, weil er dem aktuellen Trend eigentlich zuwiderläuft: Urban Farming – ursprünglich eine Idee aus den USA der 1970er Jahre – erlebt in Deutschland gerade seine Wiederentdeckung. Besonders die Großstädte profitieren. Auf den ehemals öden Flächen des Prinzessinnengartens am Berliner Moritzplatz schießen heute Tomaten, Gurken und Kreuzkümmel aus leeren Plastikbehältern. Auch in Münchens neuem Stadtviertel Freiham entsteht gerade ein Nachbarschaftsgarten mit Gemüsebeeten.

Doch es gibt einen grundlegenden Unterschied: Bei Urban Farming geht es in erster Linie um den gesellschaftlichen Nutzen, das Gemeinschaftserlebnis bei der Radieschenernte oder um die Unabhängigkeit vom Discounter um die Ecke. Die historischen Gemüsebeete dagegen sind – wie in Bamberg – nicht in die Stadtkultur integriert. Die Gärten, die einst vom Stadtrand in die Landschaft hinausführten, wurden im Laufe der Zeit einfach von Bahnhof, Straßen und Fabrikgebäuden eingekesselt.

Museales Reservat

Heute sind sie umringt von Mauern und kaum gemeinschaftlich zu nutzen. Stattdessen entsteht ein museales Reservat alter Gärtnerkultur, dessen Existenz von seinen Bewirtschaftern abhängt. Auf benachbarten Parkplätzen sollen Aussichtsplattformen entstehen, die einen Blick aus der Ferne auf die Anbauflächen erlauben. Alte Gemüsesorten sollen dort wieder wachsen. Süßholz zum Beispiel. Oder das „Bamberger Hörnla“, eine alte Kartoffelsorte, die man nur mit der Hand ernten kann und die einer intensiven Pflege bedarf. Das Häckermuseum soll professioneller werden.

Einzelne Gärtner wittern eine lukrative Gelegenheit. Gertrud Leumer betreibt mittlerweile Gartentourismus. Beinahe jede Führung durchs Viertel endet bei ihr im Kräuterbeet. Wer dort hinwill, muss ihren Laden passieren. Doch in den meisten Parzellen bleibt die Gärtnerkultur eine Konservierung von Traditionen, die Ausstellung eines Damals hinter Vitrinen. Die nach der Landesgartenschau womöglich wieder im Dickicht verschwinden wird.