ALLES IST ANDERS
: Klaus versteht nicht

Tagsüber keine Post, nachts keine Antworten

Es gibt Zusammenhänge, die sich Klaus nicht erklären kann. Vor zwei Wochen hat er begonnen, morgens Kaffee zu trinken statt Tee, und seither bekommt er keine Post. Das versteht er einfach nicht.

Jeden Morgen nimmt er eine Postkarte aus Italien von der Kommode. Mit Palmen und einer Promenade am Lago Maggiore. Und dabei wird ihm immer ein wenig anders. Die Beine schmerzen, und auch das Kopfweh scheint näher zu kommen. Schlaf zu finden, vor allem nachts, wenn es regnet – unmöglich. Und dann wieder dieses Quietschen. Der Arzt sagt, das dauere seine Zeit. Und er sagt noch viel mehr, was Klaus nicht verstehen will.

Auch nach drei Wochen gibt es keine Post. Keine Briefe, keine Prospekte, nichts. Klaus sitzt einfach da. Leere. Wenn es besonders schlimm ist, geht er zur Kommode und starrt auf die Postkarte. Ein paar Momente verfängt sich sein Blick im Grün der Palmen, ehe er mit dem Finger spazieren geht am Ufer des Lago Maggiore. Wenn man wochenlang daheim ist, ohne sich zu Hause zu fühlen, dann ist es normal, mit dem Finger in Italien spazieren zu gehen.

Tagsüber keine Post, nachts keine Antworten. Bloß dieser Regen, der aus vierwöchiger Entfernung kommt. Der herunterprasselt auf Blech und Asphalt, während Klaus auf der großen Matratze liegt und alldem nichts entgegenzusetzen hat.

Nach fünf Wochen tut sich etwas. Nicht viel, aber immerhin: im Briefkasten die Arztrechnung. Mit schönen Grüßen. Der Arzt persönlich hat unterschrieben, mit einem Riesenschnörkel. Aber nachts die Bremsen, kein bisschen leiser. Es gibt Zusammenhänge, für die Klaus eine Erklärung sucht, doch einfach nichts zu finden scheint. Vor fünf Wochen hat er aufgehört, an ein Wunder zu glauben. Aber begonnen, Kaffee statt Tee zu trinken. Und seither: unstillbare Sehnsucht nach Italien. JOCHEN WEEBER