Transeuropäische Ausstellungsplattform

KUNST In zwei Wochen beginnt die Manifesta 8 in Murcia und Cartagena. Gegründet wurde sie 1993 von Hedwig Fijen

  Murcia und Cartagena: Die Manifesta 8 findet vom 9. Oktober bis zum 9. Januar 2011 in den Gastgeberstädten Murcia und Cartagena in Südspanien statt. Die künstlerische Leitung liegt bei einem internationalen Kollektiv, das die Kuratorenteams tranzit.org (Österreich, Tschechien, Ungarn und Slowenien), Chambers of Public Secrets (Dänemark, Libanon, UK und Italien) sowie Alexandria Arts Forum (Ägypten, USA) bilden. Es werden 110 Künstler und 20 Künstlerkollektive aus über 40 Ländern weltweit vertreten sein. 90 Prozent der gezeigten Arbeiten sind speziell in Hinblick auf die Manifesta 8 entstanden.

  Die Biennale erstreckt sich über eine Reihe verschiedener Ausstellungsorte wie einem ehemaligen Gefängnis, einem Krankenhaus aus dem 18. Jahrhundert, einer alten Wassermühle oder dem neuerbauten ARQUA-Museum für Unterwasserarchäologie. Weitere Informationen: www.manifesta8.es

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Manifesta ist eine Ausstellung. Sie will aber eine Schule sein, sagt Hedwig Fijen, die 1993 die Manifesta-Stiftung in Amsterdam gründete. Sie sagt dies in ihrem Büro der Stiftung in der Prinsengracht 175, ein Haus aus dem 17. Jahrhundert, ursprünglich eine Metzgerei, wie Schaf und Bulle als Fassadenschmuck von „Anno 1661“ zeigen.

Konzipiert als transeuropäische Ausstellungsplattform für den künstlerischen Nachwuchs, will die Manifesta vor allem die jungen Kräfte aus den kunstgeografischen Randzonen in den Fokus der Wahrnehmung rücken. Um das zu bewerkstelligen, gastiert die Ausstellung alle zwei Jahre an einem anderen Ort und wird dazu von einem jeweils neuen Kuratorenteam betreut. Schule sieht anders aus. Trotzdem war es von Anfang an der Ehrgeiz der Europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst, sich als wichtige Stimme im kunsttheoretischen Diskurs zu etablieren, etwa durch die thematische Ausrichtung, was der Schau auch viel Kritik einbrachte.

Rotterdam, Luxemburg, Ljubljana und Nikosia

Gleichzeitig erhielten die Ausstellungen in Rotterdam 1996, Luxemburg 1998, Ljubljana 2000 (mit der Kuratorin Kathrin Rhomberg, die dieses Jahr für die Berlin Biennale verantwortlich war) und Frankfurt 2002 in ihrem nomadischen Status und dem Anspruch, Kunstmarktkriterien zu unterlaufen, auch viel Zuspruch.

2004, als die Manifesta 5 im spanischen San Sebastián stattfand, zählte sie schon über 100.000 Besucher. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Hedwig Fijen, die nächste Manifesta im zypriotischen Nikosia könne endlich die ersehnte Schule für Kunstvermittlung und Vorbild für weitere permanente Manifesta-Schulen sein, die im libanesischen Beirut, in Israel und in weiteren Ländern des östlichen Mittelmeerraums geplant waren.

Doch Nikosia fand nie statt. Das Kuratorenteam von Florian Waldvogel, Anton Vidokle und Mai Abu El Dahab sah für ihre Manifesta-Akademie eine Außenstation im türkisch besetzten Norden der Insel vor. Ein Vorhaben, das erst auf heftigen Widerstand durch das Organisationskomitee aus dem griechischen Teilgebiet und dann zur Absage der Manifesta 6 führte.

Verwaschener Soziologenjargon

„Zypern hätte sich in idealer Weise für dieses Projekt geeignet, da die Insel von drei Kontinenten flankiert wird und somit ein Transmissionsriemen für Bildungsmigration hätte sein können. Eingeladen haben wir 25 sogenannte Advisors aus allen gesellschaftlichen Bereichen, dazu Menschenrechtsgruppen und 80 Studenten aus allen Kontinenten, die unter anderem zu den Themen Arbeitsmigration, Schengen-Abkommen oder zur zypriotischen Verfassung bereits arbeiteten“, erklärte Florian Waldvogel damals im taz-Interview. Wobei er unfreiwillig auch die sämtliche Manifesta-Ausgaben begleitende Kritik erklärte, die den verwaschenen Soziologenjargon der Kuratoren bemängelte und oft genug auch eine diesem Verlautbarungsgestus gegenüber enttäuschend willfährige Kunst.

Tatsächlich wurde der Kurator durch die Manifesta als kommende zentrale Figur des Kunstbetriebs mit entdeckt. „Ende der 80er Jahre“, sagt Hedwig Fijen, „gab es keine unabhängigen Ausstellungsmacher. Ein Ausstellungsmacher war ein Konservator am Museum. Solchen Kunsthistorikern lagen die Themen, die die jungen Künstler beschäftigen, wie Interdisziplinärität, Globalisierung und die daraus entstehenden neuen sozialen Bewegungen, denkbar fern.“

Anders als etwa Hans Ulrich Obrist, dessen steile Karriere als Experte für zeitgenössische Kunst jenseits des institutionellen Establishments erfolgte. Der damals 28-jährige Schweizer war denn 1996 auch einer der Kuratoren der Manifesta 1. „Wir haben mit der Tradition gebrochen, dass man erst am Höhepunkt seiner Karriere eine Biennale macht, wie Jan Hoet oder Harald Szeemann“, erklärt Hedwig Fijen, „wir wollten die Leute schon zu Beginn ihres Werdegangs, so dass sie mit der Erfahrung und dem Erfolg der Manifesta weiter arbeiteten.“

Denkt man an die erstaunlichen Karrieren nach ihren Manifesta-Auftritten etwa von Massimiliano Gioni, der inzwischen Ausstellungsleiter am New Museum in New Yorker ist und die diesjährige 8. Gwangju Biennale in Südkorea leitet, oder von Rosa Martinez, die 2005, neun Jahre nach Rotterdam, gemeinsam mit María de Corral die Biennale von Venedig leitete, kann die Manifesta als äußerst erfolgreiche Castingagentur für Kuratoren gelten.

Durch den Erfolg ihrer Ausstellungsmacher ist Hedwig Fijen allerdings selbst etwas in den Hintergrund gerückt. Selten wird sie als organisatorisches, vor allem aber als intellektuelles Mastermind der Biennale wahrgenommen und gewürdigt. Tatsächlich drängt es die Direktorin der Stiftung nicht in den Vordergrund. Die eloquente Endvierzigerin ist ein Teamplayer.

Das wird auch im Gespräch deutlich, in dem sie Journalistinnen nicht mit Standardantworten abspeist, sondern bemüht ist, so konkret wie möglich auf Fragen und Einwände einzugehen und ebenso präzise ihre Vorstellungen darzulegen. Hedwig Fijen spricht nicht wie ihre KuratorInnen.

Von der Hausbesetzerin zur Kunsthistorikerin

Die niederländische Kunsthistorikerin hat auch sehr viel grundlegendere Erfahrungen mit Kultur- und Kunstvermittlung, als sie der übliche Werdegang des kunstinteressierten Akademikers mit sich bringt. Hedwig Fijen kommt aus der holländischen Hausbesetzerszene und machte schon mit 19 Jahren ein erfolgreiches Radioprogramm aus der damaligen Sowjetunion „wie man dort eben, in den 80er Jahren, lebte und wie man vor allem als Künstler überlebte“.

Um ihre Reiselust zu finanzieren, hatte sie eine Kulturreiseorganisation gegründet, über die sie in die Sowjetunion und dann zu ihrer Radioserie kam. Letztere war in den Niederlanden so populär, dass die Regierung auf sie zukam und sie bat „eine ähnliche Untersuchung in Kuba zu machen“, Unter ihren Zuhörern war auch Gus van Tyl, damals für die kulturellen Auslandsbeziehungen der Niederlande verantwortlich. In Hedwig Fijen sah er die ideale Besetzung zur Realisierung einer Idee, über der er gerade brütete. „Die Manifesta ist sein Projekt“, sagt Hedwig Fijen. Van Tyl war es, der meinte, „jetzt, nach dem Fall der Berliner Mauer, müssen wir in Europa etwas Neues machen.“

Hedwig Fijen hat es dann gemacht. Denn Gus van Tyl ging als Gründungsdirektor des Kunstmuseums nach Wolfsburg. Seitdem meistert die unprätentiös auftretende Niederländerin eine schwierige Aufgabe, denn die Stiftung verfügt über kein eigenes Kapital. Die Niederlande finanzieren zwar die Organisation in Amsterdam, aber die Ausstellungen selbst werden von den Gastgebern getragen.

Nikosia führte insofern zu einer schweren finanziellen Krise. „Wir dachten schon, wir geben auf.“ Aber dann wollten Neapel, Belfast und Bozen mit allen Mitteln Austragungsort der nächsten Manifesta werden. Bozen erhielt den Zuschlag, weil man nach Nikosia kleiner und unkomplizierter werden wollte. Das Kalkül ging nicht auf. Am Ende zeigte die Manifesta 7 nicht weniger als 230 Künstler an den vier Standorten Franzenfeste, Bozen, Trient und Rovereto.

Die Manifesta kann auch als äußerst erfolgreiche Castingagentur für Kuratoren verstanden werden

Von Seiten Hedwig Fijens hatte es einiges diplomatisches Geschick gebraucht, damit die Region als Ausrichter auftrat und die Manifesta vor einem neuerlich drohenden Desaster rettete – nämlich in der sofort entflammten Konkurrenz von Bozen und Trient zerrieben zu werden.

Auch jetzt, wo das südspanische Murcia und Cartagena die Gastgeberstädte der Manifesta 8 sind, gibt es unerwartete politische Friktionen. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen war die finanzielle Schieflage Spaniens kein Thema. Inzwischen aber muss der spanische Staat sparen, was einen Generalstreik am 29. September zur Folge hat.

Die Manifesta-Eröffnung musste um eine Woche verschoben werden. Schwerer wiegt freilich, dass das Kulturbudget der lokalen Museen abgemagert wird, während der Biennale ungekürzte Mittel aus dem Tourismusetat zufließen.

Das fördert nicht unbedingt die Zustimmung. Auch der Umstand einer Jugendarbeitslosigkeit von über 30 Prozent wiegt schwer. Da kann die Manifesta schnell als pures Luxusprodukt erscheinen.

Hedwig Fijen widerspricht diesem Eindruck nicht. Sie differenziert ihn. Wie es ihre Art ist. Gerade in Murcia und Cartagena sieht sie in der Manifesta einen überlebensnotwendigen Luxus, der vor allem darin besteht, die Leute mal auf andere Fragen zu bringen. Dazu braucht es eben die Kunst samt ihren Begrifflichkeiten.

Aber die lassen sich übersetzen und umformulieren und dazu holt sie mit ihrem Team die lokalen Kulturvermittler vom Grundschullehrer bis zum Universitätsprofessor mit ins Boot, dazu schult sie Interessierte und setzt auch mal ganz fundamental an. „Das Wort Biennale zum Beispiel“, so Hedwig Fijen, „das kennen doch vielleicht 0,5 Prozent der Bevölkerung.“ Also fragen die Werbeplakate in Murcia und Cartagena nun, was ist eine Biennale, was hat sie mit Wasser und was mit einem Gefängnis zu tun?

Und sprechen dabei ein zentrales Versorgungsproblem der Region genauso an wie sie einen Ausstellungsort bekannt machen. Doch wenn so die Ansprüche der Kunst gewahrt und dabei in Politik und lokalen Gegebenheiten konkret werden, sollte die Manifesta 8 wirklich Schule machen.