Medial, nicht öffentlich

THEATER „Die Beteiligten“ in Wien – bei Kathrin Röggla wird die öffentliche Rede zum Fall Kampusch mittelbare Fortsetzung der Tat

Noch ein Jahrhundert nach Karl Kraus lässt sich Geschwätz durch Zuspitzung zum Einsturz bringen

VON UWE MATTHEISS

Jetzt gibt also auch das Theater seinen Senf dazu. Das Stück zur Entführung? Nein, das verbietet sich selbst in Wien, wo nach der Selbstbefreiung von Natascha Kampusch alles, was drucken und Bilder senden kann, loszog, das Verlies des braven Bürgers Priklopil bis in den letzten Winkel auszuleuchten, ans Licht zu zerren, was dem Auge des Gesetzes trotz mancher Hinweise so rätselhaft verborgen blieb, lauthals zu bereden, was an Erfahrung nie ein Mensch wirklich wird mitteilen können. Wie in heiligeren Zeiten zum jeweiligen Festtag die Gläubigen über die Folterwerkzeuge ihrer Märtyrer in Verzückung gerieten, baute sich das öffentliche Sprechen rund um Wien damals eine hübsche Pietà ins vorörtliche Kellerloch. Zu blöd nur, dass Frau Kampusch ihr Leben selbst in die Hand nehmen konnte. Das sollte sich rächen: Sieht das Opfer wirklich wie ein Opfer aus, wie viel Geld verdient sie mit ihrer Story, bescheißt sie die Steuer?

Wenn alle alles vorzeigen, muss das Theater wieder hinterm Vorhang meucheln. Kathrin Röggla spielt indirekt, ein ganzes Stück in indirekter Rede. Alle (Prozess-)„Beteiligten“ sprechen von sich im Konjunktiv, vom abwesenden Opfer als „ich“. Stefan Bachmann nimmt in seiner Inszenierung am Wiener Akademietheater Rögglas Pass über die grammatikalische Bande erst einmal gut an. Wie im Reisebus parallel zur Rampe sitzen „Die Beteiligten“ auf ihren Stühlen und recken die Hälse in eine Kamera, deren Bild frontal in den Zuschauerraum projiziert wird. Röggla sucht den Groove im Loslabern, überhöht das Durchschnittliche, rhythmisiert seine Kakofonie.

Jörg Ratjen, Peter Knaack, Alexandra Henkel, Barbara Petritsch und Katharina Schmalenberg bleiben durchgängig leicht an der Oberfläche der Wörter, exerzieren das geläufige körperlose Sprechen in den Medien, das, wenn’s nicht vorgeführte Masche ist, auf einer Bühne sehr verstören kann. Ihre Figuren heißen so flexibel und ambivalent wie ihre Lebens- und Interessenkonstellation: „quasifreund“, „möchtegern-journalist“, „pseudopsychologin“, „irgendwie-nachbarin“, „  ‚optimale‘ 14-jährige“. Ihr Kampf gilt der Sendezeit und der Deutungsmacht in diesem Fall. Der Horror geht weiter, im zweiten Akt schlüpfen die Body Snatcher in die pastellfarbene Bluse, die Kampusch in ihrem ersten Fensehinterview trug, und verwenden das dieser Tage so geschmähte Kopftuch, das ihr im Auftritt einen Rest von Kontrolle über ihr Bild versprach.

Man möchte den verbalen Zudringlichkeiten der „Beteiligten“ ein deftiges „Halt’s Maul“ entgegensetzen. Es muss dennoch in Abwesenheit verhandelt werden, der Wahrheitsfindung dient’s nicht. Medial ist eben nicht öffentlich. Auf diese Unterscheidung gründet Röggla das aufklärerische Moment ihres Schreibens, dass man auch noch ein Jahrhundert nach Karl Kraus das Geschwätz durch Zuspitzung zum Einsturz bringen kann.

Bachmann sucht über Röggla hinaus dann doch Tiefen, variiert im Off die Rotkäppchenerzählung und spekuliert auf das Unbewusste im Kollektiv. Er schickt die Hetzmeute über eine Darstellerin, die dann doch stellvertretend für die Abwesende herhalten muss. Falco, der in Wien zur Rechten des Kaisers sitzt, darf seine „Jeanny“-Schmonzette beisteuern – er will doch nur spielen, der Sexualtäter.

Im Intermezzo des „gefallenen nachwuchstalents“, einem launigen Angehörigen der „spaßgesellschaft“, spricht Simon Kirsch einen Text über das Fehlen von Erinnerung, ihre Spuren und ihre Nachwirkungen in SS-Uniform, um sogleich darauf als böses Engerl von Wien in den Schnürboden hinaufgezogen zu werden. Das Böse einer mangelnden Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist immer und überall. Ihr Gift besorgt in tieferen Mentalitätsschichten die fortdauernde Faschisierung der privaten Beziehungen. Dann wären, Bachmann schickt sogleich „The Sound of Music“ auf Sendung, die Fritzls und Priklopils nur die dunkle Seite der gütigen Patriarchen in den sonntagnachmittäglichen Familienfilmen. Es naht Rettung im Wiener Poptheater, das die Medien kritisiert und zugleich seine Wahrheiten bei ihnen ausborgt, nur gibt sie es zu (Kill) billig. Ein Hattori-Hanzo-Schwert macht noch keine göttliche Gewalt, die alle falschen Bande löst. Der Vorhang fällt, die Tür geht auf, und ein Moderator liefert, wie in Wien üblich, schon zum Applaus seinen ersten Eindruck fürs Fernsehen ab. „Das Spektakel, das das Wirkliche verkehrt, wird wirklich erzeugt.“ Als Kalenderblattweisheit nützt Debord auch nix mehr.