Denkbar größter Publikumszuspruch

VISIOTHEK Regieassistent Johann Kuithan macht im Studio des Maxim Gorki Theaters „kleine Stücke aus großen Filmen“. Am Samstag war „Fluch der Karibik“ dran. Aber sein eigentliches Traumprojekt ist „Der Untergang“

Die Veranstaltungsreihe darf nichts kosten, selbst die Schnittchen, die gereicht werden, sind privat finanziert

VON DAVID DENK

Das Karibische Meer ist wieder da, wo es hingehört: in „Jolos Kinderwelt“. Johann Kuithan hat es gleich am Sonntagmittag zurückgebracht – wie er überhaupt für alles selber sorgen muss, vor, bei und eben auch nach der Visiothek im Maxim Gorki Theater. Das Meer, das man ihm für einen Abend geliehen hat, war natürlich kein echtes, es bestand aus hunderten bunten Plastikbällen. Improvisation ist alles bei einer Veranstaltungsreihe, die das Haus nichts kosten darf, nicht einen Cent, „selbst die Schnittchen, die wir jedes Mal reichen, sind privat finanziert“, sagt Kuithan, seit der Spielzeit 2008/2009 Regieassistent am Gorki. „Das mit den Schnittchen musst du erwähnen“, flachst der 28-Jährige, „dann kommen beim nächsten Mal mehr Leute.“

Dabei kann er sich über mangelnden Zuspruch wirklich nicht beklagen, wenn er alle zwei bis drei Monate in enger Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Vera Koch „kleine Stücke aus großen Filmen“ auf die Bühne bringt, bisher unter anderem „Ein Schweinchen namens Babe“, „Rambo“ und „Dirty Dancing“. Zu „Fluch der Karibik“, der neunten Visiothek seit dem Frühjahr 2009, damals noch eher szenische Lesung, stopften sich am Samstagabend zur besten Sendezeit 180 zumeist junge Leute ins Gorki-Studio – 80 weitere musste Kuithan wieder nach Hause schicken. Der Eintritt war wie immer frei – die Stimmung wie immer aufgekratzt. Und so ist Kuithans spontane Idee, beim nächsten Mal gleich im Foyer Schnittchen hinzustellen, auch als Trostpflaster für die gedacht, die wieder nicht reinkommen, denn ein Ende dieser kleinen, von der Theaterleitung geduldeten Erfolgsgeschichte ist nicht absehbar – es sei denn, Kuithan hört von selbst auf, worüber er zumindest laut nachdenkt: Auf keinen Fall dürfe die Visiothek „eine routinierte Nummer“ werden, „der Reiz liegt maßgeblich im Unperfekten, darin, dass Dinge nicht funktionieren.“

Als Karl Schneider – sonst Bühnenpförtner, auf der Bühne Gouverneur Swann – einen Auftritt verpatzt, ruft Commodore Norrington (Sebastian König) kurzerhand in die spartanische Kulisse: „Es geht Elizabeth gut, alles in Ordnung“ – einer der ersten Lacher des Abends, ach, eigentlich ist der ganze Abend ein Lacher. „Fehler sind toll“, sagt Kuithan, „extra produzierte Fehler sind furchtbar.“ Allein schon wegen des zwangsläufigen Spontaneitätsverlusts könne man jede Visiothek nur einmal spielen. Bevor er aufhört, wann auch immer, will Kuithan unbedingt noch „Der Untergang“ inszenieren, einen Schauspieler für die Hauptrolle hat er auch schon im Auge. Bruno Ganz ist es nicht.

Wobei „inszenieren“ eigentlich das falsche Wort ist für seine Aufgabe. Kuithan sieht sich nicht als Regisseur, eher als Leiter des Abends. „Je mehr ich vorgebe, desto unfreier und starrer wird das Ganze“, ist er überzeugt. Mit den Schauspielern liest er die in Nachtschichten frei nach dem jeweiligen Film angefertigte Textfassung vor der Visiothek genau einmal durch, „dann Kostümprobe, Maske und schon geht‘s auf die Bühne“, der Text wird über die Zuschauer projiziert – eine Art Schauspielkaraoke: Weder Darsteller noch Zuschauer müssten den Film vorher kennen, „aber es hilft“.

Auch die Abteilungen Ton, Licht, Bühnenbild und Kostüm haben freie Hand wie sonst selten am Theater. „Mir ist es wichtig, das kreative Potenzial meiner Kollegen, das oft brachliegt, zu nutzen“, sagt Kuithan. „Das Licht weiß selbst am besten, wie sie die Scheinwerfer zu hängen haben.“ Natürlich könne er auch anders, herrischer, regisseurhafter, „ich mache es vom Charakter des Abends abhängig, wie viel Teamplayer ich bin. Für die Visiothek nehme ich mich gern zurück.“

Am Samstag war Kuithan sogar so kollegial, dass er selbst als Soldat B auf der Bühne stand, „leider“, wie er glaubhaft versichert. Er wollte keinem Schauspieler „das bisschen Text“ zumuten, „die Bühnenpräsenz allerdings hatte ich unterschätzt.“

Kuithan will mit der Visiothek vor allem unterhalten, „keine Veranstaltung für Theaterwissenschaftler“ machen, was das Publikum ihm und den Schauspielern – allen voran Anika Baumann (Elizabeth Swann), Michael Klammer (Jack Sparrow) und Matti Krause (Will Turner) – am Samstag wieder mit Lachkrämpfen und tosendem Beifall dankte. Allerdings wolle er mit den Stücken auch erreichen, „dass man den Film dahinter nochmal anders sieht.“ So hat ihn selbst etwa „die unterschwellige christliche Propaganda“ in „Robin Hood – König der Diebe“ – der sechsten Visiothek – überrascht.

„Am besten geeignet sind Filme, die sich ernst nehmen“, sagt Kuithan, „da lässt sich die unfreiwillige Komik schön rauspressen.“ Insofern war „Fluch der Karibik“, dieser Piratenklamauk für kleine und große Jungs, keine ideale Wahl. Der Wille der Schauspieler, lustiger sein zu wollen als die Vorlage, war streckenweise zu deutlich spürbar, einige Witze wirkten arg bemüht, herbeigeführt und nicht passiert.

„Der Untergang“ bringt also alle Voraussetzungen mit für die finale Visiothek, von der das Publikum noch seinen Enkeln erzählen wird.