Der Minister hat das Buch gelesen

DREHGENEHMIGUNG Angela Jolie kann in Bosnien weiterfilmen. Und sie trifft ihre Kontrahentin Bakira Hasecic

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Die US-Schauspielerin und Regisseurin Angelina Jolie kann wieder ruhig schlafen. Sie darf ihren Film in Bosnien drehen. Am Montag gaben die bosnischen Behörden nach. Sie beendeten damit eine tragikomisch anmutende Auseinandersetzung, die tagelang die Öffentlichkeit erregte und zu heftigen Kontroversen in Sarajevo führte.

Die Debatte hat aufgezeigt, wie verletzlich die Gefühle vieler Menschen geblieben sind. Und gleichzeitig, wie dumm, arrogant und totalitär manche Staatsbedienstete zu reagieren pflegen. Der Konflikt entzündete sich an dem Stoff. So weit die Öffentlichkeit vor wenigen Tagen wusste, geht es im Film um die Liebe zwischen einer jungen Bosniakin ( Muslimin ) und einem Serben. Der Ort: ein Konzentrationslager während des Krieges 1992–1995. Der junge Mann sei von seinem Vater gezwungen worden, Aufseher in einem Konzentrationslager zu werden. Die junge Frau aber ist Gefangene in ebendiesem Lager.

Das irgendwie verbreitete Gerücht, die junge Frau im Film sei Vergewaltigungsopfer und dieses Opfer verliebe sich in einen Vergewaltiger, rief Bakira Hasecic auf den Plan. Und Bakira ist nicht irgendwer. Sie ist die kämpferische Vertreterin der Organisation „Frauenopfer des Krieges“. Sie selbst war über zwei Jahre lang Gefangene eines Vergewaltigungslagers bei Visegrad. Nach dem Krieg begann sie, die Organisation aufzubauen und Vergewaltigungsopfer anzuregen, in die Öffentlichkeit zu gehen. Mehr noch, sie sollten, wie sie es selbst tat, ihre Peiniger ausfindig machen, fotografieren, ihre Namen und die Tatumstände mit anderen Zeugenaussagen erhärten und den Strafverfolgungsbehörden übergeben. Da jedoch in der serbischen Teilrepublik einige der Täter Polizisten sind, führten solche Aktionen zu politischen Konflikten und erst danach zur schließlichen Verhaftung einiger Verdächtigter.

Bakira erklärte, auch wenn Angelina Jolie in Bosnien als ein mitfühlender Mensch bekannt sei, die erst kürzlich in Gorazde zusammen mit ihrem Mann Brat Pitt versprochen habe, die Menschen in einem noch immer existierenden Flüchtlingslager zu unterstützen, so verletzte sie in diesem Falle doch die Gefühle der Menschen in Bosnien. Die angesichts dieser heftigen Reaktion überraschte Angelina Jolie antwortete über die Medien. Die Geschichte sei erfunden. Einfach eine Liebesgeschichte. So wolle keine politische Geschichte drehen und auch keinen Dokumentarfilm. Sie habe Schauspieler nur aus der Region ausgewählt. Und deren persönliche Integrität sei bekannt, fügte Edin Sarkic von der in Sarajevo ansässigen Produktionsfirma Scout Film hinzu. Die Schauspielerin Zana Marjanovic, die in dem vielfach preisgekrönten Film „Snijeg“ die Hauptrolle spielt, ist für die Rolle der jungen Frau in Angelinas Film vorgesehen. Der Film handelte auch nicht von einem Vergewaltigungsopfer. „Natürlich dementiere ich das. Das steht nicht im Drehbuch.“ Doch Bakira konterte kühl. „Die Geschichte ist eine erfundene Geschichte, sie spielt aber in einem nicht erfundenen Land. Und das heißt Bosnien.“

Mitte letzter Woche meldete sich das von Bakira so nicht gemeinte „reale Bosnien“ zu Wort. Jetzt trat die Staatsmacht auf den Plan. In Gestalt des Gavrilo Gotovac, seines Zeichens Kulturminister des Teilstaates bosniakisch-kroatische Föderation. Da plötzlich Populisten einen Angriff auf die Identität der Bosniaken im Streit zwischen Bakira und Angelina entdeckten, sie plötzlich die bosnischen Muslime verunglimpft sahen und religiöse Eiferer erklärten, Mischehen zwischen Muslimen und Orthodoxen seien ohnehin fragwürdig, schritt der Minister zur Tat und verbot das Weiterdrehen des Filmes. Der Eklat war da. Und das Gespött auch. Bosnien sei vor aller Welt bloßgestellt, protestierte die Kulturszene. „Dort wo die Logik endet, beginnt Bosnien“, kommentierte der Kulturbeauftragte des Kantons Sarajevo, der bekannte Schauspieler Emir Hadzihafizbegovic, die Aktion seines Chefs. Die endlich einmal von einer internationalen Produktion beschäftigten Schauspieler zeigten sich über die Intervention des Staates entsetzt. Die mit dem Goldenen Bären in Berlin ausgezeichnete Regisseurin Jasmila Spanic konnte nur noch die Reaktion des Ministers und der dahinterstehenden Öffentlichkeit als „primitiv und totalitär“ charakterisieren. Die Reaktion des Ministers spiegele das Misstrauen gegenüber den Künstlern insgesamt wider. Da die Kontrahentinnen Jolie und Bakira die Bereitschaft erklärt, sich zu treffen, begann der Minister zurückzurudern. Er durfte am letzten Wochenende das Drehbuch lesen. Und fand offenbar heraus, dass der Stoff unbedenklich ist. Angelina Jolie kann nun wie geplant Anfang November mit dem Dreh beginnen.