Eine typisch deutsche Familie

UNSPEKTAKULÄRE KATASTROPHEN Lars Kraumes Film „Die kommenden Tage“ blickt in die Zukunft

Das Kino liebt die Katastrophe. Wenn die Freiheitsstatue in den Fluten versinkt, die Spitze des Chrysler-Buildings abbricht oder der Eiffelturm aufs Trocadero-Areal kippt – dann kann die Filmhandlung drum herum noch so trashig sein, als Zuschauer fühlt man sich gut bedient. Fast als gezielte Provokation gegen diese Art von Katastrophenschaulust kommt Lars Kraumes Film „Die kommenden Tage“ daher. Denn die Katastrophe hier ist im emphatischen Sinn unspektakulär. Sie besteht darin, dass sich nach und nach ein paar Befürchtungen bewahrheiten, die, jede für sich genommen, weder besonders abstrus noch apokalyptisch anmuten. Etwa, dass Europa seine Grenzen dichtmacht. Oder die Armut hierzulande zunimmt. Oder der Krieg in Afghanistan sich ausweitet. Kann ja alles sein. Währenddessen aber geht das normale Leben weiter. Wie eben bei Familie Kuper, deren Geschichte der kommenden Tage – ein Zeitraum, der die nächsten 10 bis 15 Jahre umfasst – der Film fragmentarisch vorstellt. Mutter Martha (Susanne Lothar) hat wohl mal einen anderen geliebt, weshalb über den leiblichen Vater des offenbar suchtgefährdeten Sohns Philip (Vincent Redetzki) spekuliert wird. Ihr Mann Walter (Ernst Stötzner) scheint in irgendwelche Unternehmensmachenschaften verstrickt. Tochter Laura (Bernadette Heerwagen) will bald Kinder kriegen. Ihre Schwester Cecilia (Johanna Wokalek) will die Welt retten. Eine typisch deutsche Familie halt.

Das Familienthema gehört zum Katastrophenfilm wie die Lust an der Zerstörung berühmter Gebäude. Lars Kraume aber benutzt es für seine Schilderung der möglichen Apokalypse auf geradezu literarische Weise. Man springt ohne Einführung in den Familienroman hinein, zu dessen zentraler Figur die rehäugige Laura wird, die zugleich am blindesten für das ist, was um sie herum geschieht. Während ihre Schwester Cecilia sich Untergrundkämpfern anschließt, sucht sie die große Liebe. (Beschäftigt mit ihrem persönlichen Unglück, läuft sie achtlos an den Obdachlosen-Zeltlagern vorbei, die man derweil auf den letzten Brachflächen Berlins errichtet hat. Als notwendige Anpassung nimmt sie Jahre später hin, dass man als Supermarktkunde von Security-Männern zum Auto begleitet wird.) Ihr Drama ist privat, was nicht heißt, dass es nicht zählt – oder gar unberührt bleiben könnte vom historischen Lauf der Dinge.

Fatalistische Unruhe

Gekonnt verdichtet Kraume seinen detailreichen Zukunftsentwurf mit vertrauten filmischen Mustern: In der Geschichte von Laura und ihrem Aussteiger-Ingenieur Hans (Daniel Brühl) klingt die Entbehrungsmelancholie des Heimatfilms an; in den Geschehnissen um ihre Schwester Cecilia und den charismatischen Terroristen Konstantin (August Diehl) erkennt man Motive aus „Die bleierne Zeit“ bis zum „Baader Meinhof Komplex“; Bruder Philip und Vater Walter lassen kurz den deutschen Fernsehkrimi aufblitzen. Zusammengehalten wird das alles von der grandiosen Intensität der Darsteller und einer stimmungsvoll-raunenden Düsternis, die in ihrer fatalistischen Unruhe mit der Zeit auf den Zuschauer spektakulärer wirkt als einstürzende Altbauten. Das erschreckendste Bild ist am Ende eines, das wir kennen: eine Mauer. BARBARA SCHWEIZERHOF

■ „Die kommenden Tage“. Regie: Lars Kraume. Mit Bernadette Heerwagen, Johanna Wokalek u. a. Deutschland 2010, 129 Min.