ACHSE DES VOCAL HOUSE VON TIM CASPAR BOEHME
Mehr Soul

Er ist immer noch die Stimme des House. Selbst dann, wenn er keinen House macht. In seinem Genre brauchen Sänger vor allem eines: Soul. Davon hat Robert Owens mehr als so manch anderer Kollege vom Fach. Mit seinem Organ kann er nicht nur Leid und Leidenschaft hörbar machen, bei ihm schwingt immer auch eine kräftige Dosis Spiritualität mit, so, als wolle sich der Gesang vom Körper lösen.

Wenn er in seinen Stücken klagt, meint man, da spreche einer nicht von sich, sondern von der ganzen Menschheit. Dass er als Musiker heute überhaupt zur Verfügung steht, ist ein echter Segen: Der gemeinsam mit House-Übervater Larry „Mr. Fingers“ Heard in den Achtzigern legendär gewordene Owens hatte sich während der Neunziger aus dem Geschäft zurückgezogen und lieber einen christlichen Buchladen aufgemacht. Nach einer Comeback-Platte vor zwei Jahren kommt jetzt sogar ein ganzes Doppelalbum. Den Großteil der Produktionen haben sein alter Weggefährte Heard und der Brite Atjazz übernommen, wobei über weite Strecken des Albums gar keine Musik für den Club zu vernehmen ist. Stattdessen machen Owens und seine Mitstreiter unmissverständlich klar, dass House bei aller tanzflächenfixierten Geradlinigkeit in Funk und Soul wurzelt. Herausgekommen ist ein großes Alterswerk, zeitlos und erhaben.

■ Robert Owens: „Art“ (Compost)

Mehr Cabaret

In Paris hat man Clubmusik schon immer etwas anders buchstabiert. Bei Circus Company, einem der gegenwärtig spannendsten House-Labels aus Frankreich, hat man zum Beispiel viel Sinn für Jazz, schrägen Humor und verräucherte Kellerintimität. Das Trio dOP gehört zu den Vorzeige-Künstlern des Hauses, nicht zuletzt wegen ihrer wüsten Live-Shows, in denen sie ihren Unterhaltungsauftrag sehr ernst nehmen. Neben alkoholisierter Bühnenexzentrik und programmierten Beats haben sie noch diverse akustische Instrumente wie Saxofon und Steel Drums im Angebot, die sie auch bei gemächlichem Tempo sehr amtlich swingen lassen. Dazu kommt ein genreuntypisch heiserer Gesang, der mitunter entfernt an Tom Waits erinnert.

House behält hier zwar noch sein Groove-Fundament, auf den einstigen Gegensatz von elektronischer Kantigkeit und menschlicher Stimme möchte man sich jedoch keinesfalls beschränken. Stattdessen fransen die Stücke in alle möglichen Richtungen von Blues bis zu musicalartigen Nummern aus, House und Chanson reichen sich wie selbstverständlich die Hände. Das Schönste daran: Selbst in ihren abwegigsten Momenten machen dOP zuverlässig Freude und bleiben irgendwie immer auf der Tanzfläche. Da verzeiht man ihnen auch das wohl hässlichste Plattencover des Jahres.

■ dOP: „Greatest Hits“ (Circus Company)

Mehr Pop

Es gibt ein Leben ohne Retro. Obwohl Synthesizerklänge seit einigen Jahren verstärkt mit Gesang gepaart werden, um an die kuschelig kühle Atmosphäre der Achtziger zu gemahnen, muss die Summe der beiden Elemente nicht zwangsläufig Synthiepop lauten. David Boswell aus Sheffield zum Beispiel verbindet reduziert pumpende House-Beats heutiger Machart mit einer sehr warmen und sehr britischen Stimme, wie sie man sie von der Populärmusik des Vereinigten Königreichs her gewohnt ist.

Auch wenn dies sein Debütalbum als Bozzwell ist, hat er schon eine längere Karriere als Sänger und Produzent hinter sich. In den Neunzigern war Boswell Sänger der schrulligen Band The All Seeing I, mit dem Duo Hiem kombiniert er Elektronik und Pop. Solo entwirft der Mann mit der Schiebermütze in landestypischem Understatement eine ganz eigene Vision von Vocal House fernab der amerikanischen Soultradition. Man könnte fast meinen, ein freundlich-sensibler Kumpel im Pub erzähle nebenbei aus seinem Leben, während der Wirt die Gäste mit Minimal House beschallt. Die Nähe, die dadurch entsteht, ist auf so zurückhaltende Weise intim und aufrichtig, dass es einen womöglich etwas verlegen macht. Dann bleibt eigentlich keine andere Wahl als zu tanzen. Mit „Bits & Pieces“ klappt das ziemlich sicher.

■  Bozzwell: „Bits & Pieces“ (Firm)