Politische Bühne, private Malaise

AFRIKANISCHE FILME Mit „Un homme qui crie“ von Mahamat-Saleh Haroun eröffnet heute die Afrikamera 2010, die unter dem Titel „African Leaders, African Future, African Movies“ nun zum dritten Mal im Kino Arsenal stattfindet

Adam, der Meisterschwimmer, räumt die Handtücher weg und reinigt den Pool

VON EKKEHARD KNÖRER

Sie nennen ihn Champion, weil er in seiner Jugend als Schwimmer ein Meister war. Seit dreißig Jahren aber sitzt Adam (Youssouf Djaoro), so sein richtiger Name, in einem teuren Hotel in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, am Pool und passt auf, dass keinem der mehr weißen als schwarzen Gäste etwas passiert. Er räumt die Handtücher weg, er reinigt den Pool, er hält die Augen offen, er hat seinen Sohn Abdel (Diouc Koma) angelernt und ist, im engen Rahmen, in dem das unter den Umständen möglich ist, eher glücklich. Dann aber übernehmen chinesische Investoren das Hotel und kehren mit eisernem Besen. Der Koch, seit Ewigkeiten hier tätig, wird ohne Umstände gefeuert. Die Managerin ruft auch Adam ins Zimmer und fragt ihn so scheinheilig wie brutal: Adam, glauben Sie wirklich, wir bräuchten zwei Leute am Pool? Er verliert den Job, der ihm fast alles bedeutet, an den eigenen, attraktiveren und aktiveren Sohn und landet an der Pforte als Mann, der die Schranke bedient.

Diese auf den ersten Blick so private Geschichte spielt vor dem politischen Hintergrund nicht nur um sich greifender Ökonomisierung auch im Tschad. Regisseur Mahamat-Saleh Haroun rückt immer wieder das Fernsehen in den Blick als Boten, der vom Bürgerkrieg in dem zentralafrikanischen Staat kündet. Rebellen kämpfen gegen die Armee der Regierung und nähern sich auch der Hauptstadt. Die Regierung wiederum fordert von den Familien Beiträge in Form von Geld oder kampftüchtigen Söhnen. Adam, der seinem Sohn die Übernahme des eigenen Jobs übel nimmt, gerät in einen Zwiespalt und entschließt sich zu einer Tat, deren Folgen ihm zusehends die Sprache verschlagen.

So schlicht und seelenruhig melancholisch „Un homme qui crie“ (zu Deutsch: Ein schreiender Mann) auf den ersten Blick daherkommen mag, und sowenig er an die inszenatorische Brillanz von Harouns davor entstandenem Film „Daratt“ anknüpfen will oder kann: In der Verschränkung von politischer Bühne (fast stets im Off) und privater Malaise (in so gut wie jeder Einstellung ist Adam im Bild) erweist sich dieses Porträt eines nicht mehr jungen Mannes als offene Kippfigur.

„Un homme qui crie“ ist ein Bürgerkriegsfilm, der ein privates Drama erzählt, und er ist eine Familiengeschichte, die den Bürgerkrieg zum stets präsenten Hintergrund hat. Gerade in dem Maß, in dem der Krieg zuletzt doch vor allem Kulisse bleibt für einen familiären Verrat von Tragödienformat, bleibt der Film allerdings problematisch, weil allzu unspezifisch allgemeinmenschlich.

Mahamet-Saleh Haroun, der in Frankreich studiert hat und dort seit fast dreißig Jahren lebt, ist neben Abderrahmane Sissako aus Mali der einzige afrikanische Regisseur der mittleren Generation, der den Kontinent regelmäßig in den Wettbewerben der großen Festivals der westlichen Welt vertritt. Für „Un homme qui crie“ gewann er in Cannes den Preis der Jury. Sein Film eröffnet das heute beginnende Afrikamera-Festival, zu dessen weiteren Höhepunkten ein Schwerpunkt mit zehn Kurzfilmen aus Madagaskar zählt.

■ Afrikamera: bis 21. 11., Arsenal, Programm unter www.afrikamera.de