Die Stirn wird gerunzelt, schwer lastet die Schuld

GESCHICHTE IM KINO Juraj Herz’ Spielfilm „Habermann“ macht sich auf die Suche nach dem guten Deutschen des Sudetenlands

Die Quintessenz der Moralprobleme ist dürftig: Es gibt halt böse Tschechen und gute Deutsche und gute Tschechen und böse Deutsche

Dramatisch tönen die Geigen, die Bilder sind farblich ausgedünnt, wie mit feiner Patina überzogen. „1945“ verkündet ein Schriftinsert, blutige Knie knallen auf den mit Glasscherben übersäten Boden. Ein Mob macht sich über seine Opfer her. Ein Mann schlägt einer Frau mit einem Spaten ins Gesicht, ein Kind schreit nach der Mutter. Das Blut spritzt in Fontänen, die Schnitte sind rasend. Misshandelt werden hier Sudentendeutsche von Tschechen, nach dem Ende der Okkupation.

So sieht der Vorspann von „Habermann“ aus. Vielleicht ist der Retro-NS-Film das einzige stabile Genre, das das bundesrepublikanische Kino hervorgebracht hat. In diesem Vorspann kann man die Zutaten dieses Genres ahnen, Geschichtsschreibung und Melodrama, Heimat- und Actionfilm. „Habermann“ ist ein plumper Versuch, das Genre um die Figur des deutschen Opfers zu bereichern.

Der junge, nette Sägemühlen-Besitzer August Habermann (Mark Waschke) lebt in den dreißiger Jahren im Sudetengebiet. Er heiratet, ganz im Geiste der Völkerversöhnung, die Tschechin Jana (Hannah Herzsprung). Die wuchs als Waise in einem Kloster auf und weiß nicht, dass sie Jüdin ist. Schon das ist hemmungslose Kolportage. Die Bilder ähneln grässlichstem Postkartenidyll. Man sieht Heirat, Geburt der Tochter, pünktlich zur Taufe rollt die Wehrmacht ins Dorf. Ben Becker betritt als ordnungsgemäß diabolisches SS-Mann-Klischee die Taufkirche und sagt: „Weitermachen, aber auf Deutsch.“

Oskar Schindler grüßt

Der Held Habermann ist eine Figur wie Oskar Schindler, unermüdlich dabei, das Schlimmste zu verhindern und Tschechen zu schützen. Auch im größten Chaos ist er absolut korrekt gekleidet und äußert gesinnungskorrekte Sätze wie: „Ich brauche kein Vaterland, ich habe meine Heimat.“ Er ist ein merkwürdig klinischer Held. Das gilt für den ganzen Film. Jede Figur hat einen historischen Konflikt, ein geschichtlich wichtiges Ereignis oder ein moralisches Problem zu verkörpern. Keine hat ein Eigengewicht.

In „Habermann“, von dem für Märchenverfilmungen bekannten tschechischen Regisseur Juraj Herz inszeniert, ist jede Figur überhäuft von moralischen Dilemmata. Habermann wird mal von Nazis verprügelt, weil er tschechisch redet, mal von Tschechen, weil er Deutscher ist. Karel, sein gutherziger tschechischer Freund, erschießt halb gegen seinen Willen einen jungen deutschen Soldaten, der sich schon ergeben hat. Habermanns junger Bruder, ein fanatischer Hitler-Fan, wird halb unfreiwillig zum Deserteur. Die Stirn wird gerunzelt, der Blick schweift ins Weite, schwer lastet die Schuld. Habermanns Bruder wird von Wilson Gonzalez Ochsenknecht gespielt, dem man in diesem Film noch nicht einmal glaubt, wenn er sagt, dass es draußen regnet. Die Quintessenz dieser Moralprobleme ist dürftig: Es gibt halt böse Tschechen und gute Deutsche und gute Tschechen und böse Deutsche.

Historische Umdeutungen

„Habermann“ enthält ein paar bedenkliche historische Umdeutungen. Der Held, der gute, unpolitische Deutsche, und Jana, die Jüdin, werden beide von dem bösen SS-Mann verfolgt, Jana auch erotisch, um gar kein Klischee auszulassen. Waren die normalen Deutschen und die Juden also gleichermaßen Opfer der Nazis?

Am Ende massakrieren die undankbaren Tschechen ihren Wohltäter Habermann, während Jana heim ins Reich deportiert wird. In diesen Bildern, Habermanns Martyrium und der Deportation nach Deutschland, die an KZ-Züge erinnert, sind alle Katzen grau. STEFAN REINECKE

■ „Habermann“. Regie: Juraj Herz. Mit Mark Waschke, Hannah Herzsprung, Ben Becker u. a. Deutschland/Österreich/Tschechien 2010, 104 Min.