Mit der Wirkung eines Faustschlags

SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Die Pakistan-Ausgabe der britischen Literaturzeitschrift „Granta“ bietet herausragende Texte, die ein fast bestürzend facettenreiches Bild des prekären Staates Pakistan zeichnen

Die vierteljährlich erscheinende britische Literaturzeitschrift Granta ist mehr als eine Zeitschrift: der Form nach ein Buch, in der Wirkung eine Institution. Für sie zu schreiben ist eine Ehre, die sich auch die Großen gerne geben. Doris Lessing hat hier publiziert, Salman Rushdie, Martin Amis und viele andere. Auch auf die Kleinen hält Granta ein wachsames Auge. Die Liste der zwanzig besten britischen NachwuchsautorInnen, die im Abstand von zehn Jahren erscheint, wird in der Öffentlichkeit stets ausgiebig diskutiert. Auch im Setzen von Inhalten gibt die Zeitschrift sich nicht zurückhaltend; die Mehrheit der Granta-Ausgaben erscheint als Themenheft.

Die Herbstnummer der Zeitschrift trägt in bunten Lettern die Parole „Pakistan“ vor sich her und gibt sich so schrill-bunt wie einer jener Überland-Lkws, die in Südasien die Straßen unsicher machen. Für die Covergestaltung wurde eigens der Bus-Bemaler Islam Gull aus Karatschi engagiert. Gulls Entwurf – in seiner heiteren Farbigkeit eine Augenweide für jedes Bücherregal – kontrastiert dabei recht scharf mit so manchem der Texte, die er umschließt.

Im Grunde war eine Pakistan-Ausgabe überfällig. So viele jüngere pakistanische oder pakistanischstämmige AutorInnen haben in den letzten Jahren international für Furore gesorgt, dass man fast versucht ist, von einem Boom zu sprechen. Nadeem Aslam, Daniyal Mueenuddin, Mohsin Hamid, Kamila Shamsie und Mohammed Hanif sind durch Übersetzungen auch hierzulande bekannt geworden. Alle sind in Granta 112 wiederzufinden, zusammen mit anderen, die noch entdeckt werden müssen, wie etwa die Englisch schreibende Uzma Aslam Khan, deren wunderbarer Roman „Verwoben“ zwar vor Jahren auf Deutsch erschien, dem aber keine weiteren Übersetzungen folgten.

Khan ist, eher untypisch für den Band, mit einer Liebesgeschichte vertreten und schlägt darin einen weiten Bogen zwischen der kalifornischen Wahlheimat ihrer Figuren und dem pakistanischen Himalaja. Ihr Text ist einer von dreien im Buch, die die große pakistanische Diaspora berühren.

Es muss eine schmerzhafte inhaltliche Grätsche gewesen sein, die von den Herausgebern zu bewältigen war. Insgesamt gelingt ein fast bestürzend facettenreiches Bild des prekären Staates Pakistan. Die ausgewählten Texte sind bemerkenswert bis außergewöhnlich, das Primat des Politischen ist dabei deutlich. Es zeigt sich unter anderem in der Entscheidung, auch nicht-literarische Texte von Nicht-Pakistanis hinzuzunehmen wie die Reportagen des Guardian-Korrespondenten Declan Walsh und der Amerikanerin Lorraine Adams. Während Walshs großartige Reportage aus dem nordwestlichen Grenzgebiet ein ernüchterndes Bild einer waffenstarrenden, religiös radikalisierten archaischen Stammesgesellschaft zeichnet, geht Adams der Motivation eines der glücklosen Bomber vom New Yorker Times Square nach.

Sogar eine Reportage über die „Intifada“-Generation im indisch verwalteten Teil Kaschmirs geht in den Band mit ein, was in einer Pakistan-Nummer als starkes politisches Zeichen gesehen werden muss. Am nachdrücklichsten aber bleiben jene Texte haften, die sich ihrem Gegenstand in urliterarisch verdichteter Weise nähern. Nadeem Aslams Erzählung „Leila in the Wilderness“ gehört ebenso zu den Highlights wie Mohammed Hanifs bitter-satirische Kurzgeschichte „Butt and Bhatti“.

Die meisterhafte Erzählung „The Sins of the Mother“ des späten Debütanten Jamil Ahmad (Jahrgang 1933), dessen erstes Buch nächstes Jahr erscheinen wird, beschließt den Band: ein leiser Text mit der Wirkung eines Faustschlags in die Magengrube. Danach bleibt man erst mal eine Weile sitzen. KATHARINA GRANZIN

■ „Granta – The Magazine of New Writing 112: Pakistan“. 12,95 Euro