Wikileaks-Enthüllungen in Spanien: Die Guantánamo-Files

Europäische Politik und Justiz arbeiteten eng mit US-Diplomaten zusammen, um die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Folter zu verhindern. Auch bei Khaled El Masri.

Guantanamo steht für Folter und fehlende Rechtsstaatlichkeit. Bild: reuters

Schon wenige Tage nachdem Menschenrechtsorganisationen in Madrid im März 2009 eine Strafanzeige gegen sechs US-Regierungsjuristen erstattet hatten, soll der spanische Staatsanwalt Javier Zaragoza mit einem Rechtsberater der US-Botschaft zusammengetroffen sein. In der Strafanzeige ging es unter anderem um die Folter an den auf Guantánamo inhaftierten spanischen Staatsbürgern Hamed Abderrahman Ahmed und Lahcen Ikassrien. Die beiden Beamten besprachen sich, wie man mit dieser heiklen Angelegenheit umgehen solle.

Die in der vergangenen Woche in der spanischen Zeitung El País veröffentlichen Wikileaks-Dokumente zeigen, dass es dabei vor allem um den seit Sommer dieses Jahres suspendierten Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ging. Laut Kabeln aus der US-Botschaft in Madrid vom 1. April 2009, 17. April 2009 und 5. Mai 2009 besprachen spanische Staatsanwälte mit US-Diplomaten und Politkern, wie sie Garzón aus den sensiblen Ermittlungen gegen US-Bürger zu drängen sowie diese Verfahren einzustellen gedenken und damit Gefahren durch die Zusammenarbeit europäischer Strafverfolger einzudämmen versuchen.

Sicherlich existieren weltweit viele solcher Einzelbeispiele von US-amerikanischen Einflussnahmen, die man dank Wikileaks nun genau nachvollziehen kann. Es lohnt, sich das Beispiel Spanien detailliert anzusehen. Erst im Detail kann man ermessen, wie weitreichend US-Diplomaten zum Schutz ihrer nationalen Interessen offenbar agieren.

In Spanien, aber auch in Großbritannien und in Deutschland, laufen derzeit bemerkenswerte Ermittlungen wegen der Folterungen auf Guantánamo und in Fällen von Entführungen von terrorismusverdächtigen spanischen, britischen und deutschen Staatsbürgern durch die CIA.

Nicht genug damit also, dass auch unter Präsident Obama praktisch keinerlei Strafverfolgung wegen Folter gegen die ehemaligen Angehörigen der Bush-Administration stattfindet und dass Ex-Präsident Bush in seinen Memoiren Befehle zur Folterung von Terrorverdächtigen zugibt, ohne dass gegen ihn auch nur Ermittlungen eingeleitet werden. Wie die Auswertung der Kabel nunmehr belegt, versuchen die USA mit massivem Druck, die immer noch unzureichenden und späten Bemühungen europäischer Strafverfolger zu torpedieren.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin und Generalsekretär der juristischen Menschenrechtsorganisation ECCHR

In Spanien sind insgesamt drei große Ermittlungskomplexe vor verschiedenen Ermittlungsrichtern anhängig, in denen es um die Folterung und Tötung von - insbesondere - spanischen Staatsbürgern geht. Der Fall des von US-Soldaten in einem Bagdader Hotel erschossenen spanischen Kameramannes José Couso wird seit 2003 von der spanischen Justiz verfolgt.

Die spanische Justiz befasst sich zudem mit dem CIA-Entführungsprogramm von Terrorismusverdächtigen. Das Verfahren war von einem mallorquinischen Gericht 2005 eingeleitet worden. Denn eines der von der CIA genutzten Flugzeuge war einige Male auf Mallorca zwischengelandet, und die Crews hatten sich auf der Urlaubsinsel erholt und dabei Spuren hinterlassen, die schließlich zu ihrer Identifizierung führten.

Politisch problematische Ermittlungen verspricht die bereits angesprochene Strafanzeige gegen die sogenannten "Bush Six", sechs hohe Regierungsjuristen unter Ex-Präsident Bush, die seit März 2009 bei spanischen Gerichten anhängig ist. In diesem Verfahren wird von Rechtsanwalt Gonzalo Boye und seinen Kollegen die Verantwortungskette für das Folterprogramm nach dem 11. September 2001, insbesondere die Rolle der Juristen, thematisiert.

Die geleakten Kabel aus der US-Botschaft in Madrid fassen zahlreiche Gespräche zwischen spanischen Strafverfolgern und Politiken mit US-Diplomaten zusammen. Sie belegen etliche Versuche der US-Amerikaner, in allen drei Strafverfahren die Ermittlungen zu stoppen, sowie eine bisweilen nicht nur servile, sondern aktiv auf Einstellung der Verfahren gerichtete Haltung spanischer Regierungsbeamten und hoher Justizfunktionäre. Einen besonderen Dorn im Auge der Amerikaner stellt der zurzeit suspendierte Ermittlungsrichter Baltasar Garzón dar. Über ihn heißt es, "wir geben uns keinerlei Illusionen über dieses Individuum hin". Richter Garzón stelle eine "kontroverse Figur in der jüngsten spanischen Geschichte" dar.

So kann man es auch ausdrücken. Richter Garzón nahm in der Bearbeitung seiner Fälle weniger politische Rücksicht, als es Richter seiner Position gemeinhin tun - was ihm schließlich selbst zum Verhängnis wurde. Damit stellte er sowohl aus Sicht der Amerikaner als auch der Spanier eine Gefahr dar, falls er die Ermittlungen in dem Guantánamo-Fall übernehmen sollte.

Der Chef der spanischen Staatsanwaltschaft Javier Zaragoza soll laut dem Kabel vom 1. April 2010 aus der US-Botschaft in Madrid gegenüber den Amerikanern nicht nur offen darüber triumphiert haben, dass Garzón angesichts der ihm selbst drohenden (und später realisierten) Strafverfolgung die Übernahme des Falles nicht riskieren werde. Zaragoza und sein Vorgesetzter, der Generalstaatsanwalt Cándido Conde-Pumpido, gingen weiter: Conde-Pumpido bezeichnete auf einer Pressekonferenz vom 16. April 2009 die Strafanzeigen von Menschenrechtsorganisationen als "betrügerisch", während Zaragoza laut Kabel vom 1. April 2009 den Amerikanern exklusivere Einblicke gewährt: die Strafanzeige sei "gut dokumentiert" ( "die Beweisdokumente in vier roten Aktenordnern auf seinem Schreibtisch seien einen Fuß hoch") und er habe tatsächlich keine andere Wahl, als den Fall erst einmal zu eröffnen.

In politischen Gesprächen beteuerten spanische Politiker, sie könnten die Akten zu ihrem Bedauern nicht schließen - trotz des ausgeübten Druckes. Allerdings soll Zaragoza laut Kabel vom 5. Mai 2009 den Amerikanern angekündigt haben, er werde gegen die Bearbeitung des Falles durch Garzón juristisch vorgehen, was dieser dann auch tatsächlich tat. Zur Sicherheit gab er den Amerikanern noch einen juristischen Ratschlag: Er empfahl ihnen, Strafverfahren in den USA zu eröffnen, dies würde die Strafverfolgung in Spanien ausschließen.

Wie man mittlerweile aus anderen Verfahren von Universeller Jurisdiktion in Spanien weiß - gegen israelische Militärs oder mexikanische Polizisten -, lässt die spanische Staatsanwaltschaft eine formale Verfahrenseröffnung genügen. Sie fordert also keine substanziellen Aufklärungsbemühungen, um die aufwendigen und politisch konfliktreichen Verfahren in Spanien einzustellen. Zaragoza bekommt jedenfalls ein gutes Zeugnis von der US-Botschaft ausgestellt. Er handele "mit gutem Willen und spiele eine konstruktive Rolle".

Allerdings teilen die Verfasser des Kabels vom 5. Mai 2009 seinen Optimismus nicht. Sie gelangen zu der Auffassung, der Richter Garzón ließe sich selbst durch disziplinarische Maßnahmen nicht abschrecken, sondern werde möglicherweise noch eine ganze Zeit mit dieser Angelegenheit zu tun haben. Sie lagen richtig, denn Garzón begann Anfang 2010 die Ermittlungen mit den ersten Zeugenvernehmungen und arbeitete an der Aufklärung der US-Folter bis kurz vor seiner Suspendierung. Die Ermittlungen werden im Übrigen derzeit durch einen anderen Richter fortgeführt. Für Anwalt Gonzalo Boye geht aus den Dokumenten hervor, "dass die gegen Garzón orchestrierte Kampagne für die Staatsanwaltschaft auch zum Ziel hatte, ihn aus dem Guantánamo-Verfahren herauszudrängen".

Die spanischen Wikileaks-Unterlagen führen auch nach Deutschland. In mehrfacher Hinsicht verängstigt zeigten sich die amerikanischen Diplomaten über die Folgen der Ermittlungen der Münchener Staatsanwaltschaft im Falle des entführten deutschen Staatsbürgers libanesischer Herkunft Khaled El Masri. Sein Entführungsflugzeug soll in Mallorca zwischengelandet sein, weswegen zu einem Fall auch in Spanien ermittelt wird.

El Masri war Ende 2003 im mazedonischen Skopje von CIA-Agenten entführt worden. Fast ein Jahr wurde er ohne Grund in Afghanistan festgehalten und misshandelt, bevor er wieder nach Deutschland zurückkehren konnte. Gegen die mutmaßlich beteiligten CIA-Agenten erließ das Amtsgericht München Haftbefehl. Um ihrer habhaft zu werden, hätte die Bundesrepublik Deutschland die Auslieferung von den USA beantragen müssen. In einem Kabel vom 6. Februar 2007 hält der US-Diplomat Koenig über ein Gespräch mit einem Vertreter der Bundesregierung zu diesem Thema fest, dass die Antragstellung durch Deutschland "negative Auswirkungen auf das deutsch-amerikanische Verhältnis" ("negative impact on our bilateral relationship") hätte - eine diplomatisch verbrämte Androhung von negativen Konsequenzen.

Anwalt Boye geht davon aus, dass es weitere Gespräche von US-Diplomaten mit spanischen Strafverfolgern gab, und fordert "eine umfassende Aufklärung des Verhaltens spanischer Politiker und Justizangehöriger". Sollten sich die Darstellungen in den Kabeln bewahrheiten, werden entsprechende Klagen vorbereitet, "immerhin sei mit einer ausländischen Macht mit dem Ziel zusammengearbeitet worden, die Verfolgung von Straftaten wie Kriegsverbrechen und Folter, bei denen aufgrund der spanischen Opfer eine Zuständigkeit der Justiz gegeben ist, zu vereiteln".

Ein Zitat aus einem Kabel vom 1. Februar 2007 aus der US-Botschaft in Madrid, den Fall des Deutschen El Masri betreffend, macht deutlich, dass um nicht mehr und nicht weniger als die Unabhängigkeit der Justiz im - theoretisch - gewaltenteilig organisierten Gemeinwesen geht: "Diese Koordination zwischen unabhängigen Staatsanwälten wird unsere Bemühungen verkomplizieren, den Fall in dem diskreten Verhältnis von Regierung zu Regierung zu regeln". Es ist das Verdienst von Wikileaks und der spanischen Medien, diese Diskretion, die in Wahrheit eine Verschwörung zur Verdeckung schwerster Straftaten darstellt, torpediert zu haben.

Es liegt jetzt an couragierten Juristinnen und Juristen in ganz Europa, ihren unter Beschuss stehenden Kollegen Garzón nicht nur zu unterstützen, sondern seine verdienstvollen Bemühungen zur Strafverfolgung von Menschheitsverbrechen fortzusetzen. Es wäre auch eine (Wieder-)Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, die weder im Falle von Guantanamo noch der zahlreichen Foltervorkommnisse in Afghanistan und Irak bisher existierte.

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