Eine großartige Auferstehung

WELTERBE „Die Graue Passion“ von Hans Holbein d. Ä. ist nach aufwendiger Restaurierung erstmals in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen

Holbeins Halbgrisaille hüllt das Passionsgeschehen in eine Sphäre von Verlassenheit und Tauer

VON GABRIELE HOFFMANN

Mit Ruhm bekleckert hat sich das Land Baden-Württemberg weiß Gott nicht, als Joachim Egon Heinrich Prinz zu Fürstenberg sein kulturelles Erbe in den neunziger Jahren zur Last geworden war und er es zu barer Münze machte. Vieles kam unter den Hammer, darunter die einzigartige Inkunabelsammlung der Hofbibliothek. Auktionshäuser lagen auf der Lauer, als dann 2003 in letzter Minute das Land doch noch „Die Graue Passion“ von Hans Holbein d. Ä. mit 13,2 Millionen Euro vor dem Abtransport rettete. Nachdem die zwölf Tafeln, die zu den Hauptwerken der deutschen Malerei der Spätgotik zählen, zwei Jahre lang in den Werkstätten der Staatsgalerie Stuttgart restauriert wurden, sind sie jetzt, begleitet von bedeutenden Leihgaben aus demselben Zeitraum, im sanierten Altbau der Staatsgalerie zu bestaunen.

Die Leidensgeschichte Christi gehört zu den wichtigsten Themen Holbeins. Anders als bei seinen ebenfalls ausgestellten intensiv farbigen Tafeln mit Kreuzigung, Kreuzabnahme und Grablegung aus dem Zisterzienserkloster Kaisheim, beschränkte sich Holbein bei der „Grauen Passion“ auf ein monochromes Grau für die Außenseiten der Flügel und ein monochromes Beige für die Innenseiten des Altars. Dieses Grau-in-Grau hat nichts mit der von Jan van Eyck benutzten Steinfarbigkeit zu tun, die bei der „Verkündigung an Maria“ beide Figuren als belebte Skulpturen darstellt. Holbeins Halbgrisaille hüllt das Passionsgeschehen in eine Sphäre von Verlassenheit und Trauer. Auffallend ist bei den agierenden Personen ein hohes Maß an individuellem Ausdruck. Die Vorbilder dafür fand Holbein in der niederländischen Malerei.

Spektakulär wie der Erwerb der Grauen Passion 2003 war auch die anschließende Aktion ihrer Untersuchung und Restaurierung. Die Tafeln sind Teile eines klappbaren Flügelaltars, über dessen Aufstellungsort nichts bekannt ist. Der Mittelschrein, vermutlich eine geschnitzte Kreuzigungsgruppe, ist verloren. Der Altar muss vor 1853 zersägt worden sein, denn in diesem Jahr tauchten die ursprünglich beidseitig bemalten Flügel, in je zwei Tafeln gespalten, auf dem Münchner Kunstmarkt auf, wo sie für das Haus Fürstenberg erworben wurden.

Die Analyse ergab, dass durch die Spaltung die Farbschicht Risse bekommen hatte. Ziel der gegenwärtigen Restaurierung war es, die Situation, die durch frühere Restaurierungen entstanden war, kritisch zu bewerten und mit den neuen technischen Möglichkeiten zu korrigieren.

Alle zwölf Tafeln wurden eingescannt, so dass die Ausgangssituation, das Wie und Wo der Eingriffe in die Malerei, dokumentiert blieb. Dann wurden mit Lösungsmitteln alte Übermalungen vorsichtig weggetupft. „Querschliffe“ – winzige, unter dem Stereomikroskop entnommene Proben der Originalfarbschicht, eingebettet in Kunstharz und geschliffen – ermöglichten es dem Restauratorenteam, mit Hilfe von Spezialmikroskopen und Infrarotreflektografie den Schichtenaufbau der Farbe zu untersuchen. Die eigentliche Restaurierung der beschädigten Stellen begann damit, dass ein Kitt aus Leim und Kreide, quasi als Grundierung, auf die beschädigten Stellen aufgetragen wurde und darüber mit sehr feinem Pinsel Aquarellfarbe in winzigen Punkten. Es handelt sich um eine jederzeit korrigierbare Retusche.

Ein großes Problem war die Firnisvergilbung. Hier galt als Regel, die natürliche Patina zu bewahren und nur an Stellen, die den akzeptablen Grad der Vergilbung überschreiten, einzugreifen. Auch das Problem farbig unterschiedlicher Bildhintergründe wurde gelöst. Ursprünglich hatten alle Tafeln denselben blauen Hintergrund: zwei Schichten Blaugrün und darüber grobkörniges Azuritblau.

Ein Video klärt über den Stuttgarter Restaurierungsmarathon in seinen einzelnen Schritten auf. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nicht nur Holbeins Werk hat an Ausdruck gewonnen; auch die Forschung ist in ihren Methoden einen großen Schritt weitergekommen.

Dem kunsthistorisch interessierten Besucher bietet die Schau neben weiteren Werken Hans Holbeins d. Ä. Malerei und Grafik von bedeutenden Vorgängern und Zeitgenossen, darunter Albrecht Dürers „Grüne Passion“ und vier Tafeln von Matthias Grünewald.

■  Bis 20. März, Staatsgalerie Stuttgart, Katalog (Hatje Cantz) 58 Euro