Zirkulierende Libido

HAUSHALT Lucía Puenzo erzählt in „Das Fischkind“ vom Verhältnis zwischen Dienstbote und Familie

Lucía Puenzo ruft in den verwunschenen Bildern das Erbe des magischen Realismus auf

Dienstboten stiften Verwirrung in den Familien Lateinamerikas. Inwieweit sie zum Haushalt dazugehören, ist unklar; zwar leben sie oft über Jahre hinweg unter einem Dach mit den Familienangehörigen, doch ihr Status ist unsicher, sie sind leicht kündbar und haben wenig Rechte. Zugleich tragen sie in die spanischstämmigen Oberschichtshaushalte ein Stück indianisches Erbe hinein, etwa in Form von Liedern oder Gutenachtgeschichten. Der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez betont, wie sehr ihn beeinflusste, was ihm seine indianischen Kindermädchen beim Zubettgehen erzählten, und die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel ermittelt in ihren Filmen, besonders in „La Ciénaga“, wie die Dienstboten Teil einer libidinös-affektiven Familienökonomie werden.

Auch die junge argentinische Regisseurin Lucía Puenzo, Tochter des Regisseurs Luis Puenzo, nimmt sich des Sujets an. Mit „Das Fischkind“, ihrem zweiten Film, adaptiert sie ihren eigenen gleichnamigen Roman. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von Guayi (Mariela Vitale) zu Lala (Inés Efrón). Guayi arbeitet im Haus des Richters Brönté, seit sie 13 Jahre alt ist. Sie stammt aus Paraguay und hat Guaraní-Vorfahren. Einmal, bei einem Abendessen, singt sie auf Guaraní ein Lied. „Mit ihrem Gesang verhexten die Indios die Spanier“, kommentiert Brönté (Pep Munné) bösartig. Tatsächlich hat Guayi ihn betört, seine Tochter Lala aber noch mehr. So konkurrieren die beiden Bröntés um dieselbe Frau. Was daran Liebe, was Missbrauch und was Berechnung ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Lucía Puenzo hat 2007 mit ihrem Debüt „XXY“ Aufsehen erregt, der konfliktreichen Geschichte eines intersexuellen Jugendlichen in einem entlegenen Dorf an der argentinischen Küste. Auch „Das Fischkind“ arbeitet mit ungezähmt zirkulierender libidinöser Energie, allerdings entwickelt der Film, je länger er andauert, einen umso stärkeren Hang zur Räuberpistole. Ein Glas Milch wird vergiftet, der Richter bricht tot an seinem Schreibtisch zusammen, Guayi wird verdächtigt und landet im Jugendknast, bis sie in einer spektakulären Aktion befreit wird. Eine Pistole und Schusswunden kommen ins Spiel, außerdem eine Flucht im Überlandbus. Dabei verfährt „Das Fischkind“ nicht chronologisch, Puenzo zerstückelt vielmehr die verschiedenen Zeitebenen und montiert sie, zumindest in der ersten Hälfte des Films, zu einem recht kunstvoll-verwirrenden Puzzle. Teile dieses Puzzles speisen sich aus Guayis paraguayischer Vorgeschichte, deren traumatischer Kern sich in eine magische Erzählung verlagert hat. Auf dem Grund des Sees, an dessen Ufer Guayi aufwuchs, lebt das so genannte Fischkind, einige Male sind die beiden Protagonistinnen an seiner Seite im Wasser zu sehen. Puenzo ruft in diesen verwunschenen Bildern das für die lateinamerikanische Literatur- und Filmproduktion so maßgebliche Erbe des magischen Realismus auf.

Doch der Handlungsüberschuss, die recht kruden Ausbeutungs- und Missbrauchsszenarien und der Konservensound der Filmkomponisten liegen schwer auf dem Film. Statt sich auf das komplizierte Netz aus Zuneigung und Abhängigkeit, das sich zwischen Guayi und den Bröntés entspinnt, zu konzentrieren, bereinigt Puenzo diese Konstellation von ihren Ambivalenzen. Guayis und Lalas Verhältnis ist von einem unüberwindbaren Klassenunterschied geprägt. Das gerät leider aus dem Blickfeld; was bleibt, ist eine romantisch-verklärende Vorstellung von Liebe. CRISTINA NORD

■ „Das Fischkind“. Regie Lucía Puenzo. Mit Inés Efrón, Mariela Vitale u. a. Argentinien, Spanien, Frankreich 2009, 96 Min.