Die Krone abgeben

KING LEAR She She Pop üben mit ihren Vätern im HAU 2 den Generationswechsel

Schon einmal probegelegen im Sarg? Das Erbe ausgerechnet? Eine Liste der Dinge erstellt, welche die pflegebedürftigen Eltern beim Einzug mitbringen dürfen?

Die Performancegruppe She She Pop gestaltet ihre Abende gerne wie ein Trainingsprogramm für real anstehende Fragen. Diesmal nähern sie sich im HAU 2 einer biografisch unausweichbaren Phase: Was geschieht, wenn die Eltern älter werden, Unterstützung brauchen? Als dramaturgischen Leitfaden nehmen sie das Drama „King Lear“ von Shakespeare zur Hand und als Gewährsmänner für die unterschiedlichen Blickwinkel zweier Generationen bringen sie drei ihrer Väter mit auf die Bühne.

Zwar sind sich alle bald einig, dass der Generationswechsel so, wie König Lear die Sache regeln wollte, nicht funktioniert: Lear wollte sich Respekt, Würde und Betreuung im Alter durch die vorzeitige Aufteilung seines Reiches unter den Töchtern sichern. Wie kann man nur glauben, Liebe gegen Geld kaufen zu können, regt sich Theo Papatheodorou, der Vater von Ilia, auf.

„Testament. Verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear“ ist ein behutsamer und für She She Pop auch leiser Abend, sicher auch den Vätern zuliebe, denen das Performen der berühmten Töchter (und eines Sohns) oft als peinliche Entblößung aufstieß. Dass dennoch Themen über Themen geschichtet werden, liegt am analytischen Zugriff auf den Stoff: Es geht um Macht und die Kompensation ihres Verlustes; um die 68er-Generation und das tendenziell schlechte Gewissen ihrer Kinder, deren Ansprüchen nie gerecht werden zu können; um den Umgang mit Text und die Repräsentation in Bildern.

Kleine Kameras sind auf die Gesichter der Väter, die am Rand der Bühne in großen Sesseln sitzen, gerichtet und projizieren ihre Gesichter in drei große Bilderrahmen: schon ist der Duktus königlicher Repräsentation hergestellt. Genau hier setzen später die Kinder Pappkronen auf und ziehen sich die Hemden der entkleideten Väter an: So illustrieren sie einerseits das Leiden von Lear, dem seine Töchter bald keinen seiner Ritter mehr ließen, und kokettieren andererseits mit ihrer Macht über die Performance. Am Ende fassen die drei Rahmen ein fast barockes Vanitas-Motiv aus Tulpen und Äpfeln, unter dem sich Kinder und Väter übereinander legen, schichtweise, fast wie im Familiengrab.

Absurde Rechnungen werden aufgemacht: Sebastian zum Beispiel, der zwei Schwestern hat und selber kinderlos ist, möchte gern mehr als ein Drittel erben. Er denkt an Ausgleichszahlungen für all die Großelternliebe, die an ihm vorbei direkt zu den Kindern seiner Schwestern geflossen ist. Lisa rechnet das in Stunden um und kommt auf 66.000 Euro für 5 Enkeljahre. Das Publikum ist äußerst erheitert. Weil vorgeführt wird, was zu denken sich verbietet und doch gerne gedacht wird.

Die Diskussionen, die während der Proben zwischen Vätern und Kindern geführt wurden, sind ein wichtiges Element der Aufführung. Mit geschlossenen Augen, Kopfhörer auf den Ohren, wiederholen sie vor Monaten gesprochene Sätze und Zwiste. Das ist nicht nur ein Einblick in den Prozess, aus dem Privaten und Persönlichen eine stellvertretende Rolle zu formen. Es ist auch ein sanftes Stilmittel, um Widersprüche zuzulassen.

Am Ende hat man nebenbei viel über die bildungsbürgerliche Herkunft dieser Gruppe erfahren: Dass sie Theater spielen statt eine akademische Karriere zu machen, war nicht der Plan der Eltern. Doch so, wie sie jetzt zusammen agieren, steht die Anerkennung der Unterschiede im Vordergrund. Einen so versöhnlichen „Lear“ sieht man selten.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Bis 28. Februar, 20 Uhr, HAU 2