Die Wahrhaftigkeitsherstellerin

HOHER TON Eine, die der Ironie jüngerer Regisseure Brecht, Pathos und markerschütternde Stimme entgegensetzt: ein Lobgesang auf die Schauspielerin Margit Bendokat, die nun endlich den Berliner Theaterpreis bekommt

■ Am Sonntag erhält Margit Bendokat den Theaterpreis Berlin, überreicht von Klaus Wowereit. Der Regisseur Nicolas Stemann hält die Laudatio.

■ Am Freitag begann in Berlin das Theatertreffen, das am 24. Mai mit Stemanns Inszenierung von Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ zu Ende gehen wird. Seit 1988 wird der Theaterpreis Berlin, gestiftet von der Berliner Stiftung Preußische Seehandlung, während des Festivals verliehen. Der erste Preisträger war George Tabori, auch Pina Bausch und Elfriede Jelinek erhielten ihn. Nach Jutta Lampe (1992) ist Margit Bendokat erst die zweite damit ausgezeichnete Schauspielerin.

■ Über Margit Bendokat schrieb die Jury: „Man bewundert ihre unzerstörbare schauspielerische Naivität: die Frau mit der einprägsamen, zerbrechlichen, mädchenhaft-kindlichen Stimmkraft, glasklar und fremdartig zugleich.

VON EVA BEHRENDT

Sie kann auf der Bühne einschlagen wie ein Meteorit. Ein unerwarteter Fremdkörper, sperrig und schwer einzuordnen. Besonders verstörende Krater reißen ihre Auftritte derzeit in den Inszenierungen von Nicolas Stemann und Dimiter Gotscheff am Deutschen Theater in Berlin. In Stemanns Brecht-Inszenierung der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ etwa betritt die Schauspielerin Margit Bendokat die Bühne erst nach einem guten Drittel – und taucht von da an das ironische Geplänkel, das sich die drei schnöseligen Möchtegern-Fleischspekulanten Felix Göser, Andreas Döhler und Matthias Neukirch mit ihren Suhrkamp- Textausgaben liefern, in ein ganz anderes Licht.

Als Unterschichtsfrau Luckerniddle trägt Margit Bendokat eine ballonseidene Trainingsjacke in den schwierigen Farben Lila, Mint und Gelb, um ihre Beine schlottern Jogginghosen, und die Obi- und Lidl-Tüten sehen aus, als wären sie ihr seit Jahren schon an den Händen festgewachsen. Aber das allein ist es nicht. Was die Frau wie von einem anderen Stern wirken lässt, ist ihre ungelenk-selbstverständliche Art des In-der-Welt-Seins: aufrecht, aber mit hängenden Schultern, unscheinbar, aber erschreckend präsent, naiv und doch eine einzige wandelnde Provokation.

Und ihre alarmanlagenlaute Stimme. Sie ist nämlich gekommen, um sich zu beschweren. Ihr Mann ist bei einem grausigen Arbeitsunfall im Sudtopf ums Leben gekommen, doch niemand hatte den Arsch in der Hose, die Witwe davon zu unterrichten – und so schrillt ihre Brecht-Klage jenseits aller Psychologie weit über die Bühne hinaus.

Die Privatfrau Bendokat, die mit dem Rad zur Verabredung auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters erscheint, hat mit Frau Luckerniddle wenig zu tun. Die 67-Jährige strahlt etwas auch sonst eher Ungewöhnliches aus: heitere Zufriedenheit. Und das liegt sicherlich nicht nur daran, dass ihr die Stiftung Preußische Seehandlung am Sonntag den Berliner Theaterpreis verleiht. Auf die Frage, was sie gedacht habe, als sie von der Auszeichnung erfuhr, antwortet sie ohne Tamtam: „Na endlich!“ Was bei anderen schnell vorwurfsvoll und überheblich wirkt, klingt bei ihr stolz und erleichtert.

Am Cafétisch in der Vormittagssonne kommt der Kollege Horst Lebinsky vorbei und gratuliert: „Margit, das haste dir hoch verdient!“ Er hat unbedingt recht. Wie kaum einer anderen Schauspielerin gelingt es Margit Bendokat, auf einen Schlag so etwas altmodisch Kostbares wie „Wahrhaftigkeit“ herzustellen. Doch sie tut das keineswegs durch die Simulation von Natürlichkeit oder authentisches Nichtspiel – dazu ist sie der Brecht- und DDR-Theatertradition, die auf zeichenhafte Verfremdung setzte und dabei den hohen Ton nicht scheute, viel zu verhaftet. Aber es kommt ihr und ihren Lieblingsregisseuren zupass, dass gerade im Kontrast mit den Spielweisen der jungen Generation starke Reibung entsteht: Wo jüngere Kollegen dem Pathos kanonischer Texte mit (Selbst-)Ironie oder Slapstick begegnen, greift Margit Bendokat direkt darauf zu.

Ende des Zweiten Weltkriegs im brandenburgischen Templin geboren, hat sie an der Staatlichen Schauspielschule Berlin (heute Ernst Busch) studiert und wechselte nach einjährigem Erstengagement am Theater Parchim als festes Ensemblemitglied ans Deutschen Theater. Das war 1965 – seither ist Margit Bendokat dem Haus in der Schumannstraße mit seinen wechselnden Intendanten und Ensembles, durch Höhenflüge und über Durststrecken hinweg („am Theater muss man das aushalten“) treu geblieben. Wenn sie ohne Renommierlust, doch mit dem größten Respekt von ihren Künstlerkollegen erzählt, paradiert fast beiläufig das „Who is who“ des DDR-Theaters vorbei: Adolf Dresen verschaffte ihr die erste „richtige Rolle“, der Regiestar der 80er, Alexander Lang, ließ sie als reife Stella glänzen, Frank Castorf forderte sie mit einer „ganz neuen Weltsicht“ heraus. Einar Schleef ließ sie nach der Wende in „Verratenes Volk“ 20 Minuten am Stück brüllen, und mit Dimiter Gotscheff, bei dem sie 2003 im „Tod eines Handlungsreisenden“ erstmals spielte, teilt sie die hemmungslose Verehrung von Heiner Müller.

Zu schräg zur DDR-Karriere

Als Anfang der 80er viele Kollegen und Freunde in den Westen gingen, blieb Margit Bendokat in Berlin, genauer gesagt: in ihrem Mitte-Kiez zwischen Jägerstraße und Deutschem Theater, wo sie bis heute „fest verwurzelt“ ist. „Aber ich hatte ja einen schönen Pass“, sagt sie, „und Inszenierungen wie Müllers ‚Lohndrücker‘ haben wir auf Gastspiel in Paris gezeigt.“ Ein Privileg sei zudem gewesen, dass man im Osttheater „die Ventile öffnen“ und geistigen Widerstand habe leisten können, meint Bendokat und schwärmt von Castorfs Bulgakow-Bearbeitung „Paris, Paris“, die staatstreue Bürger 1988 reihenweise verlassen hätten. „Solche Provokationen machen mir heute noch Spaß.“

Ein regelrechter Star ist Margit Bendokat im Osten nicht geworden. Für eine Karriere als Defa-Protagonistin galt sie als zu schräg. Dafür kannte jedes DDR-Kind ihre Stimme aus Märchen-Hörspielen, wo sie – oft unter der Regie ihres dritten Mannes Peter Brasch – die Ratte Erika, böse Hausfrauen und schräge Hennen sprach. Überhaupt, ihre Stimme! Bis heute ist sie ihr vielleicht eindrucksvollstes Werkzeug: von unbestechlicher Klarheit oder mädchenhafter Unschuld, zu durchdringender Lautstärke fähig und stets mit großer Ruhe und Rhythmusgefühl im Einsatz.

„Ick weiß janz jenau, wat ick sage“, erklärt Margit Bendokat, die im Alltag berlinert und sich daher auf ihre Bühnensprache besonders konzentriert. Sie erzählt, wie sie sich Texte beim Auswendiglernen aneignet und durch eigene Assoziationen anreichert: „Je älter ich werde, desto mehr Bilder und Situationen entstehen in meinem Kopf.“ Nichts sei schließlich uninteressanter als schnöde verplapperter Fernsehrealismus: „Dit uff der Bühne, da wird mir schlecht.“

Und tatsächlich: Würde Margit Bendokat als markerschütternder Solo-Chor in Gotscheffs „Perser“-Inszenierung nicht jedem einzelnen Wort der von Heiner Müller zusätzlich verkomplizierten Übersetzung der antiken Tragödie hinterherlauschen, hätte das Publikum über weite Strecken keine Verständnischance. Auch in „Über Tiere“ (Regie Nicolaus Stemann), jenem von feministischem Sarkasmus gespeisten Theatertext, zu dem Elfriede Jelinek sich von Abhörprotokollen aus einer Wiener Sex-Agentur inspirieren ließ, rezitiert Margit Bendokat im Blümchenkleid einen devot an „Mein Herr“ adressierten Liebesbrief mit fast quälender Schlichtheit. Und mit einer Innigkeit, die einem das Blut stocken lässt.

Später erzählt Margit Bendokat noch, wie bewegend es war, als der todkranke Jürgen Gosch von der Krankentrage aus in den Proben zu „Idomeneus“ sein Ensemble aufforderte, Faxen zu machen. Zu ihrem großen Bedauern war seine letzte Inszenierung die erste von Goschs später Blüte, in der sie überhaupt mitspielen konnte. Und sie erzählt davon, wie schwer es ihr gefallen sei, in Konstanze Lauterbachs Inzenierung von Lorcas „Bluthochzeit“ 2001 ohne zu heulen den Satz „Nun sind alle tot“ zu sagen. Kurz davor war nicht nur ihr langjähriger Ehemann Peter Brasch im Alter von gerade mal 46 Jahren gestorben, sondern auch dessen Bruder, der Schriftsteller Thomas. Die heitere Zufriedenheit hat eine dunkle Kehrseite, und man ahnt, dass Margit Bendokat nicht nur eine großartige Schauspielerin, sondern auch eine große Liebende und Trauernde ist.

Was sie mit den 20.000 Euro Preisgeld anstellt, steht schon fest: Sie wird sich einen Lebenstraum erfüllen und mit dem Postschiff zehn Tage an Norwegens Küste die Hurtigruten entlangreisen. Sie freut sich sehr darauf.