Als Spam-Individuum in Mitte

GESINDEL In Mitte lebt die Creme der deutschen Gesellschaft. Und die findet: Es muss mal Schluss sein mit der Toleranz für Fußball im Kiez, jugendliches Treiben, Grillen im Freien und sonstige Unterschichtenvergnügungen

„Wir haben das Aborigines-Problem leider noch nicht komplett im Griff, Sire“

VON ULI HANNEMANN

Beim Fußballtraining landet mein Befreiungsschlag ausgerechnet im Hof eines dieser neuen Elitebunker in der Linienstraße. Den Ball wiederzukriegen, wird schwierig sein – das weiß ich bereits aus Erfahrung. Dennoch stehe ich kurz darauf an der Haustür und klingle.

Es gibt nur vier Parteien, denn jede Etage beherbergt eine einzige Wohnung. Hinter zweien der Riesenpanaromafenster brennt immerhin Licht, doch keiner öffnet. Bestimmt identifiziert eine Kamera mich in Sportkleidung als Spam-Individuum vom verhassten Sportplatz nebenan. Spiellärm, Kindergeschrei und der Anblick unedler Menschen ist der neuen Mitte ein Dorn in Auge und Ohr. Wenn das Flutlicht nicht um punkt halb zehn aus ist, wenn gegrillt wird und abends am Vereinsheim zu laut gelacht, wird verlässlich die Polizei gerufen. Und jeder Ball, der im Hof der Edelleute landet, bietet eine willkommene Gelegenheit, dem Gesindel eins auszuwischen.

Ins Haus hinein kommt man nur mit einer Chipkarte. Ich spähe durch eine Art Bullauge ins Innere. Es wirkt wie ein Hochsicherheitstrakt. So schützen sich in Lateinamerika die Reichen vor den Armen. In einer Stadt, die der Kriminalstatistik nach auch gut als Kapitale des Auenlandes durchginge, nimmt sich eine solche Anlage lächerlich aus.

Zu dem Verein da?

Ein ungefähr gleichaltriger Mann kommt auf mich zu. In der Hoffnung, dass er hier wohnt, spreche ich ihn wegen des Balles an. Er lässt mich nicht ausreden, sondern fragt mich, ob ich „zu dem Verein da“ gehöre – wie eitrigen Schleim wirft er die Worte aus. Ich bejahe, ist doch unsere Freizeittruppe dem Verein angegliedert. Sofort zetert er los: „Ich habe endgültig genug von Ihren Jugendlichen. Ihre Jugendlichen rotzen die ganze Zeit auf die Straße, und meine Kinder setzen sich dann da rein. Dieser Scheißfußballplatz – ich bin froh, wenn der wegkommt!“

Ich rezitiere lahm aus meiner inneren Sozialfibel, à la „andere Hintergründe und wenn es solche Fußballplätze nicht geben würde?“ Doch er wählt wohl was anderes. „Es gibt viel zu viel Toleranz“, herrscht er mich an.

Ich verstehe seine Logik. Wo immer Kolonialisten hinkamen, waren schon lästige Eingeborene da und trommelten, berlinerten oder spuckten. In diesem Fall mitten in der Stadt. Wo er herkommt, kennt man das gar nicht. Da gehört die wertvolle Altbausubstanz in der Innenstadt spätestens seit dem Krieg der wertvollen Menschensubstanz, während der Plebs in Trabantenstädten haust. Deshalb hat er gedacht, in Berlin sei das genauso. Ist es ja auch zunehmend, aber eben noch längst nicht ganz.

Der Makler ist schuld. Wäre der ehrlich gewesen, hätte er gesagt: „Wir haben das Aborigines-Problem leider noch nicht komplett im Griff, Sire. Aber wenn Sie bloß noch drei Jahre den Arsch zusammenkneifen, haben wir hier endlich noch den letzten Dreck raus aus der Gegend. Dann spuckt auch keiner mehr auf die Straße – es sei denn, er hätte eine kokaininduzierte Epilepsie.“ Mein Mittemann hätte sich entscheiden können, ob er seine goldenen Gräten in der Zwischenzeit lieber in einem Villenvorort zwischenlagert oder gleich in einer oberschichtfreundlicher strukturierten Stadt wie Hamburg oder Rio de Janeiro.

Er sieht zuständig aus

„Ich bin noch viel zu tolerant“, teufelt der Anwohner weiter auf mich ein. „Irgendwann packe ich die noch mal am Kopf und tunke sie da rein.“ Vielleicht hätte es auch genügt, sie einfach anzusprechen. Aber das traut er sich wohl nicht und wendet sich lieber an mich. Ich wirke wohl harmlos und zugleich seltsam zuständig. Dabei gibt es einen klaren Haken an der Sache: Es sind nicht „meine Jugendlichen“.

Wären das nämlich meine Jugendlichen, bäte ich sie zunächst einmal, das Designerhauptquartier aufzubrechen, und den Ball vom Hof zu holen. Des Weiteren würde ich sie ersuchen, nicht überall hinzurotzen, denn ich mag das selber nicht. Wenn ich bei mir zu Hause am Hermannplatz die Treppen zur U7 runtergehe, brauche ich Gummistiefel, um unbeschadet durch den geschlossenen Glitschfilm zu gelangen, den dort junge und alte Männer in liebevoller Kleinarbeit angelegt haben, und zwar ganz ohne Fußballplatz.

Da sollte mich der Mittefuzzi mal besuchen. Dann würde er vielleicht etwas positiver auf sein Umfeld blicken. Ich will es ihm gerade vorschlagen, da er hat sich fertig ausgekotzt und lässt mich stehen. Er wohnt nicht im Haus. Wieder ein Ball weniger.