Vor 30 Jahren

KRISENRECHERCHE Das Magazin-, Theater- und Opernprojekt 80*81

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Idee, so wie Georg Diez und Christopher Roth argumentieren, hat viel für sich. Gleichzeitig weckt sie den Argwohn, einer Satire über das Genre der Verschwörungstheorie aufzusitzen. In ihrer monatlich erscheinenden Publikation 80*81 nämlich stellen die beiden – der eine als Autor und Journalist, der andere als Künstler und Filmemacher bekannt – die These auf, dass die Krisen von heute vor genau 30 Jahren ins Werk gesetzt wurden.

Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Odenwaldschule eine Wahrheitskommission nötig hat, weil konkreter Kindesmissbrauch wie die ihn legitimierenden theoretischen Argumente in Reformpädagogik und alternativen Erziehungsmodellen öffentlich werden, scheint der Gedankengang durch einen gleich im ersten Heft abgedruckten Filmclip aus den Gründungstagen der Grünen schlagend belegt. Es geht um das Sexualstrafrecht. Die sichtlich erregt vorgetragenen Argumente sind keinem Sprecher zuzuordnen, gefordert wird Straffreiheit für sämtliche sexuellen Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, sofern sie gewaltfrei und ohne Zwang eingegangen werden. Die Diskussion endet handgreiflich.

Ein Thriller ist dann das Gespräch mit Abolhassan Banisadr. Der erste Präsident der iranischen Republik Iran behauptet, die Freilassung der 52 amerikanischen Geiseln nur wenige Minuten nach der Vereidigung Ronald Reagans zum 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten im Oktober 1980 sei Resultat eines Deals: Freigabe der Geiseln erst nach der Wahl gegen Waffen aus den USA. Die Geiseln blieben letztlich 424 Tage in der Teheraner US-Botschaft gefangen, Jimmy Carter verlor die Wahl – mit den triumphierenden Reaganomics war der Grund für die Finanzkrise 2008/2009 gelegt.

Ein klassisches Nostalgieprojekt ist 80*81 jedenfalls nicht. Zwar zieren die Ausgaben immer wieder Hitlisten, sei es die Playlist der von DJ Hell oder der Künstlerin Angela Bulloch geschätzten Musiktitel, sei es die Rangfolge, in der die Autoren die Filme von Paul Schrader favorisieren. Doch mehr als von Stil, Mode, Popkultur und ihren Zeitgeistprodukten sind ihre achtziger Jahre durch eine bedrückende Abfolge schlechter Nachrichten geprägt: Die ETA bombt Polizisten in die Luft, das FBI konspiriert gegen Kongressabgeordnete, die salvadorianische „Volksliga des 28. Februar“ nimmt in der spanischen Botschaft zwölf Geiseln, ein griechischer Öltanker havariert auf seinem Weg nach Triest …

Monat für Monat rekonstruieren Diez und Roth die Chronologie der Ereignisse und setzen mit Interviews ihre These immer wieder in die Spur, begleitet von Dokumentenausrissen oder Reprints und von zahllosen Bildern und Fotostrecken unterstützt. Für jede Ausgabe entwickeln sie ein neues Layout und Format. Versteht sich das lackrote Cover mit dem Schriftzug „Mao III“ noch von selbst, stößt man im vierten Heft erst nach dem Astrologen Alexander von Schlieffen und der Schachlegende Wiktor Kortschnoi auf Samuel Beckett und sein 1980 uraufgeführtes Fernsehexperiment „Quad“, von dem die Autoren die quadratische Form des schwarzen Hefts herleiteten.

Dass jenseits der Säulenheiligen des Kulturbetriebs wie Jacques Lacan, Don DeLillo oder dem unvermeidlichen Slavoj Zizek ausdrücklich Figuren aus Zirkeln zu Wort kommen, die sich mit denen im Zentrums des Geschehens nur partiell tangierten, trägt entschieden zum Reiz von 80*81 bei. Fantastisch ist etwa das Interview mit Discoproduzent Giorgio Moroder über Armani und Hollywood, die Filmmusik für Paul Schraders „American Gigolo“ und den Blondie-Hit „Call Me“. Und zu einem Highlight gerät es, wenn Robert Longo über den Verkaufsschlager Angst – ja, das fing damals schon an – und die 80er Jahre in der New Yorker Kunstwelt spricht, die er mit den restlichen Protagonisten der Picture Generation wie Cindy Sherman, Jack Goldstein und Richard Prince gehörig aufmischte.

Etwas Ähnliches schwebt Diez und Roth vor. Unterstützt von René Pollesch, übersteigern sie ihre ebenso eigensinnige wie eigenartige Geschichtsschreibung, die mit dem Erzählergestus des zentralen 80*81-Worts „meanwhile“ wie ein anarchistischem Kommentar zu Arthur Dantos „Analytischer Philosophie der Geschichte“ daherkommt, noch in einem Performance- und Theaterprojekt. Nachdem es im Watermill Center von Regisseur Bob Wilson in New York zu Gast war, ist es aktuell bei GoetheOnMain in Johannesburg vertreten, bis es dann im September in Hamburg auf Kampnagel zu erleben ist. Dort gastierten Georg Diez und Christopher Roth schon einmal im Sommer, mit ihrem Film, Diashow, Musik und Live-Performance umfassenden Multimedia-Mysterienspiel über die Jungfrau von Fatima, das Attentat auf Papst Johannes Paul II. und Mehmet Ali Agca, der damit 1981 scheiterte. Steht noch „80*81 – die Oper“ aus, mit deren Uraufführung am Silvesterabend 2010 in München ihre Krisenrecherche endet.

■  80*81, ed. Georg Diez and Christopher Roth, Edition Patrick Frey, Zürich, 18 bzw. 12 Euro; weitere Infos: www.8081.biz