Die Franzenfreude und ihre Kritikerinnen

EKSTASE Ganz Amerika ist im Franzen-Fieber. Nur zwei amerikanische Autorinnen kritisieren den US-Literaturbetrieb nun als männliche Spielwiese

Was lange währt! Jonathan Franzens lang ersehnter Roman „Freedom“ ist am Dienstag nun also in Amerikas Buchläden erschienen. Gesprochen wurde über das Werk allerdings schon seit Wochen. Denn vor dem offiziellen Veröffentlichungsdatum heizte die Presse die ohnehin schon hohen Erwartungshaltungen mit viel Lob an. Die New York Times nannte das Buch „ein Meisterwerk“, die Washington Post würdigte es als „brillant“ und das Time Magazine hievte das erste Mal seit zehn Jahren wieder das Porträt eines Schriftstellers, nämlich Franzen, auf das Titelcover. Bei all den Begeisterungsstürmen wurde selbst Präsident Obama hellhörig und nahm ein Vorab-Exemplar in seinen Urlaub mit auf die Insel Martha’s Vineyard. „Der Präsident“, ließ sein Pressesprecher Bill Burton jüngst verlauten, „liest das Buch und findet es unterhaltend.“ Besser hätte der Verkauf also nicht starten können.

Mittlerweile hat sich die Diskussion etwas verlagert. Zwei Schriftstellerinnen, Jodi Picoult und Jennifer Weiner, haben vor kurzem auf Twitter eine Diskussion entfacht, indem sie behaupteten, dass „weiße männliche Schriftsteller aus New York“ von der Buchkritik fortwährend bevorzugt würden, wobei hingegen weibliche Literatur bei den (zumeist männlichen) Meinungsmachern immer wieder unter den Rezensionstisch falle. Das Phänomen nannte Weiner mit Bezug auf Freuds psychoanalytische Terminologie: eine Franzenfreude. „Schadenfreude verspürt man, wenn man sich am Leid anderer Menschen erfreut.“ Franzenfreude hingegen, so die Autorin weiter, stellt sich ein, wenn man vor Jonathan Franzens Literatur in blinde Ekstase verfällt.

Natürlich wollten beide Autorinnen mit ihrer Kritik nicht Franzen als Schriftsteller beleidigen. Vielmehr wollten sie auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen, die sich in der Presse bei der Auswahl von Rezensionsobjekten einzuschleichen scheint. Dabei verwiesen sie vor allem auf die New York Times, die nicht nur herausragende weibliche Autoren, sondern ganze Genres ignorieren würde: „Aber selbst konventionelle Romane, die von Frauen geschrieben werden, bekommen weniger Aufmerksamkeit als die Literatur, die eine kleine Gruppe von männlichen Autoren publiziert“, sagte Weiner und vermutete ein heimliches Kartell hinter dem monoton gebürsteten Literaturbetrieb.

Aber stimmt der Vorwurf? Diese Frage wird im Internet jetzt heiß debattiert. Yvonne Zipp vom Christian Science Monitor erinnerte daran, dass es zwar durchaus richtig sei, dass weibliche Literatur zu wenig rezensiert werde. Die Schuld daran trage allerdings nicht Franzen, der, ganz im Gegensatz zu den Behauptungen der Autorinnen, eine gesunde Distanz zur Buchkritik einnehme und vor allem der New York Times gegenüber kritisch eingestellt sei. Franzen nannte im Jahr 2008 die umstrittene Chefkritikerin der „Times“, Michiko Kakutani, nach einer negativen Besprechung seiner Memoiren „The Discomfort Zone“ „die dümmste Frau in New York“. Franzen ist eben ein Mann der Corrections. Und nicht der Connections. TOMASZ KURIANOWICZ

■ Auf Deutsch erscheint der Roman am 8. September