Was ist das denn nun mit der Psyche

THEATER René Polleschs neues Stück „Schmeiß Dein Ego weg!“ hatte am Mittwoch Premiere an der Volksbühne. Die Schauspieler-Performances waren großartig, der diskursive Rahmen geriet dagegen etwas dürftig

Drei, vier gute Gags, vergleichsweise sparsame Effekte, eine gute Stunde Spielzeit. Das war’s

VON RENÉ HAMANN

Man wurde von „Another Brick in the Wall“ begrüßt, und man wurde von „Another Brick in the Wall“ entlassen. Nun ist es nicht neu, dass sich der Theatermacher René Pollesch für Popmusik interessiert, im Gegenteil, Pop war immer ein wichtiger Bestandteil seines Theaters. Aber „Another Brick in the Wall“, Pink Floyd? Worum ging es, ging es um die pädagogikfeindliche Seite des Lieds, ging es um die Einführung des Schulmädchenchors in die Popmusik (der Akzent des Schulchors ist immer noch mitreißend – und das Lied somit eine der besten Ideen, die Pink Floyd ohne Syd Barrett tatsächlich je hatten), oder ging es am Ende darum, dass wir alle nur ein Teil der Mauer waren, ein Teil dieser Wand, ein Teil dieser vierten Wand, die hier und jetzt einzureißen sei?

Die vierte Wand, darum ging es Mittwochabend in der Premiere von „Schmeiß Dein Ego weg!“ von René Pollesch in der Volksbühne. Die vierte Wand war dann auch tatsächlich als vierte Wand des Theaterinnenraums vor die Bühne gebaut (Bühne: Bert Neumann). Sie fungierte erst als Leinwand, bekam später zwei Löcher, sprich Türen, durch die Christine Groß, Margit Carstensen und Martin Wuttke rein- und rausliefen, redeten, monologisierten, delirierten, und zwar über die vierte Wand als solche, als Wille und Vorstellung, und analog über den Körper als die eigentliche Seele, die eben das Außerhalb des Körpers ist, und darüber hinaus ein wenig über die Zeit und die Liebe. Viel mehr war nicht: Die vierte Wand, die zu kritisierende Dichotomie Körper/Seele und die Liebe. Dazu ein Chor, ein Setting, das irgendwo zwischen Irrenhaus und Sci-Fi-Zukunftslabor lag, eine Souffleuse (Tina Pfurr), die wie ein Satellit um das Geschehen herumkreiste, diesmal aber auffällig wenig zu tun hatte, und drei Hauptdarsteller, die natürlich überzeugend (besonders die aus Fassbinder-Zusammenhängen bekannte Carstensen) bis großartig (Wuttke) waren. Ach ja, und Zigaretten wurden natürlich geraucht. Ohne Ende.

Ist es innen schön?

Also die vierte Wand und was an der Tradition eben problematisch sei, nämlich das ewig lange Festhalten an Fehlern, wie eben dem der Körper-Seele-Dichotomie. Überlegungen, die man natürlich kannte: Die Rede von der „inneren Schönheit“, die „innere Schönheit“ als aufgemachte Differenz zum rein Äußerlichen ist ein bekannter Topos, der ja tatsächlich nicht unbedingt zu verstehen ist. Was soll das sein, die innere Schönheit? Wie sieht sie aus, wie macht sie sich bemerkbar? Ist das vermeintlich Tiefe, Dahinterliegende nicht sowieso immer da, vorhanden, vordergründig, offensichtlich? Natürlich lässt Pollesch hier gleich eine ganze Ich-Konzept-Ideologie mitschwingen respektive gleich mitkritisieren. „Und was ist mit der Psyche?“ – „Ach, die Psyche!“ Wuttke spielt den daherdelirierend Zweifelnden und Verzweifelnden dabei genauso wunderbar wie Carstensen die leicht stoische Diva, den Gegenpart. Ausagiert, bis ins Letzte durchdacht wird der Diskurs allerdings nicht: Was ist denn das dann mit der Psyche?

Der andere direkte popmusikalische Verweis bezieht sich auf die Hamburger Band 1000 Robota, die für den Titel des Stücks verantwortlich sind: „Schmeiß dein Ego weg!“ Dieser Ego-Auflösungsdiskurs ist ja auch aus der Esoterik, aus fernöstlichen Ansätzen bekannt, auch als Heilpraktik und Gegentendenz zum Zwangsindividualismus der neoliberalen Gesellschaft. Aber so weit geht Pollesch diesmal irgendwie nicht. Sein neues Stück klebt an den zwei Grundgedanken, die wiedergekäut werden, dazu gibt es drei, vier gute Gags, sparsame Effekte, eine gute Stunde Spielzeit. Das war’s. Das Stück scheint unfertig – ein Bruchstück eines Stücks.

Was schade ist. Dabei hatte sich auf der Premiere ordentlich Subkulturprominenz eingefunden, Jochen Distelmeyer war da, und Helene Hegemann kam natürlich mit dem Taxi (dabei sollte es einem doch schon früh darum zu tun sein, nicht sein eigenes Klischee zu werden). Und man hatte sich bei der schön kitschig-dramatischen Musik, die den Projektionen unterlegt war und die offensichtlich aus dem „Traumschiff“ oder ähnlichen Fernsehproduktionen stammte, schon gefragt, wie Pollesch-Stücke im Fernsehen funktionieren könnten: Wie ein Schwank aus dem Ohnsorg-Theater, nur aus dem 21. Jahrhundert?

So aber bleibt auf eine andere Referenz hinzuweisen. Sie heißt Brian Wilson. Der hatte kurz vor seinem Ego-Komplettabsturz zwei Jahre lang hohe Kunst produziert. Eines dieser mariannengrabentiefen Stücke der LP „Pet Sounds“, eins der Stücke, in der er Selbsterklärung, Hilferuf und Eigentherapie vereinte, heißt nach Eingriff und pädagogischer Maßregelung lapidar „I Know There’s an Answer“. Auf den ursprünglichen Titel hatte der zu der Zeit ichschwache Wilson leider verzichten müssen. Er lautete: „Hang On to Your Ego“.

■ „Schmeiß Dein Ego weg!“, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wieder am 20. 1. um 19.30 Uhr und am 30. 1. um 18 Uhr