Penelopes Warten

MUSIKTHEATER David Marton inszeniert nach Motiven von Monteverdi „Die Heimkehr des Odysseus“ an der Berliner Schaubühne

David Marton ist ein Regisseur, der Opernstoffe in Schauspielhäuser trägt und damit die Konkurrenz von Kunstgattungen und Medien

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wenn das erste Madrigal verklungen ist und seine Wehmut fast noch mit Händen zu greifen, folgt ein hässliches Geräusch, eine Komposition aus quietschenden Messern, klappernden Gabeln, taktschlagenden Löffeln. Penelope isst, an einem Tisch mit ihren Freiern, die nach zwanzigjährigem Werben schon etwas abgeschlafft sind. Telemachos, ihr gelangweilter Sohn, fragt mit Unschuldsstimme „Wo ist Papa?“ und weiß, dass genau diese Frage alle auf die Palme bringt.

Papa, der dem Stück „Die Heimkehr des Odysseus“ seinen Namen gab, kommt noch lange nicht. Denn erst einmal geht es David Marton, der an der Berliner Schaubühne „Die Heimkehr des Odysseus“ inszeniert, mit vielen Elementen der gleichnamigen Oper von Claudio Monteverdi, um Penelope. Zweimal fordert sie, „Meine Geschichte müsste eigentlich erzählt werden“, und ihre Geschichte des Wartens und einer bis zur Reizbarkeit überspannten Geduld erzählt Marton mit allen Finessen seiner Kunst.

Er ist ein Regisseur, der Opernstoffe in Schauspielhäuser trägt (Sophiensaele und Volksbühne in Berlin, Thalia Theater Hamburg und Burgtheater Wien) und dabei stets auch etwas über die Konkurrenz von Kunstgattungen und Medien vermittelt. Mit profanen Geräuschen nach erhebendem Gesang ist bei ihm jederzeit zu rechnen. Der Genuss des Besondern findet nie unter Ausschluss des Gewöhnlichen statt, sondern immer mittendrin.

Die Konkurrenz zwischen dem Sohn Telemachos, der ohne Vater scheint’s nicht erwachsen werden kann, und den seine Mutter in Beschlag nehmenden Freiern setzt Marton als musikalischen Wettkampf in Szene. Telemachos, dessen hartnäckige Infantilität Matthias Matschke ohne Klamauk verkörpert, stimmt einen Blues auf der akustischen Gitarre an; ein Freier aber übertrumpft ihn mit der E-Gitarre. Telemachos setzt sich ans Klavier, ein anderer Freier kann’s besser. Das ist ein lustiger Auftritt, der so ganz nebenbei etwa vom Posing im Pop und einem musikalisch ausgetragenen Männlichkeitswahn vermittelt, der dem Hauen und Stechen der antiken Helden auf einmal verdammt ähnlich ist. Für solche unterspielten Pointen liebt man David Marton.

Oder auch für die Gestaltung einer Rolle wie Penelope, das so feinfühlige und niemals kitschige Leuchten in die Seele einer Frau, die sich im Warten und Treuehalten aufzehrt. Jule Böwe sitzt dazu oft in einer vollgestellten Wohnlandschaft hinter weißrotem Absperrband. Müdigkeit und Anspannung ist in jeder ihrer Gesten und auch in ihrer Stimme, wenn sie herzzerreißend die Arien von Monteverdi singt. Sie erlaubt sich nicht zu lieben, schleudert ihr „Nein“ wie Speere heraus. Sie strampelt auf dem Hometrainer wie dem einzigen Ort körperlicher Verausgabung, ein verzweifelter Sex mit Maschinen. Dass ihr Strampeln dabei einer Glühbirne Strom gibt, in deren Licht man den fernen Odysseus bei einer anderen Frau sieht, ist ein dramaturgischer Gag, der aber nicht so richtig ankommt.

Von solchen trickreichen Konstruktionen, die dem Mythos in kritischer Absicht begegnen, wimmelt die Inszenierung. Aber einiges davon ist um zu viele Ecken gedacht. So ist einer der Freier wiederholt mit einem Vortrag über die Braut und die Junggesellenmaschinen beschäftigt, der surrealistische Künstler Marcel Duchamp und seine berühmten Exegeten Gilles Deleuze und Felix Guattari lassen grüßen. Aber das alles bleibt viel zu kryptisch, als dass man es auf die Situation von Penelope und ihren Freiern sinnvoll beziehen könnte – und so wird es zu einem bloßen Kokettieren mit Bildung.

Doch da, wo die Inszenierung zu Penelope und Telemachos zurückkehrt, hat sie wunderbare Szenen, wie einen Dialog zwischen Mutter und Sohn über den abwesenden Vater: Penelope erinnert ihn mit allen seinen Macken, seinem großspurigen Charme, seinem verletzten Witz, seiner Nettigkeit, wo es nichts kostete – und „den wünschst du dir zurück?“ fragt der Sohn. Ja eben, die Sinnlosigkeit des Wunsches, wie der Mythos ihn ihr auferlegt hat, zermürbt sie noch ein bisschen mehr.

Aus dem ungleichen Vermögen eines Ensemble aus Schauspielern, Sängern und Musikern gewinnt Marton eine verblüffende Nähe zu den Figuren. Niemand ist hier wie der Solist in der Oper auf Überhöhung abonniert, und kommt sie dann doch, ist es umso ergreifender. Musik ist hier nie das Selbstverständliche, sondern immer wie ein Geschenk, nicht nur an das Publikum, sondern auch für die Figuren, die damit einen Moment der Erleichterung erhalten. Sie ist der Kitt über den Brüchen, mit denen sich jede Figur rumplagt, und die auch die Inszenierung als bewussten Zwitter zwischen den Künsten durchziehen.