ZWISCHEN DEN RILLEN
: Lieber ein Schlag zu wenig – beständige Beats gibt es auf der Welt so oder so

Seefeel: „Seefeel“, Brian Eno: „Small Craft on a Milk Sea“ (beide Warp/Rough Trade)

Die Überraschung ist gelungen, denn das Warp-Label aus London, nach mehr als 20 Jahren immer noch eine verlässliche Adresse für elektronische Popmusik, hat zwei Alben altgedienter Pioniere veröffentlicht, um die es zuletzt stiller gewesen war.

Gerade einmal drei Jahre lang, von 1993 bis 1996, veröffentlichte das britische Quartett Seefeel seine Schallplatten, mit denen es das Genre Indietronica, eine Kombination aus Indie-Pop und repetitiver Elektronik, auf den Weg zu bringen half. Seefeel waren die erste Band im Katalog von Warp, die Gitarren spielten. Sie kombinierten den massiven Wall-of-Sound-Ansatz von Shoegaze-Vorreitern wie My Bloody Valentine mit den filigraneren Strukturen elektronischer Ambient-Musik (in der Nachfolge Enos) oder mit tiefen Dub-Reggae-Bässen zu einem neuen Sound. Doch so schnell sie für Aufhorchen sorgten, so schnell waren sie auch wieder weg. In der Zwischenzeit gab es reichlich Nachfolger, die ihre Ansätze auf die eine oder andere Weise weiterverfolgten, so dass man sie gar nicht groß vermisst hätte.

Jetzt haben sich Gitarrist Mark Clifford und Sängerin Sarah Connor zwei neue Mitstreiter gesucht, was man dem selbstbetitelten neuen Album merklich anhört. Weil Bassist Shigeru Ishihara sonst als DJ Scotch Egg brachial verspielten Spielkonsolen-Gabba in aberwitzigem Tempo produziert und der Schlagzeuger Iida Kazuhisa alias E-Da früher bei der japanischen Noise-Rock-Institution Boredoms seine Trommeln misshandelte, wundert man sich bei dieser geballten Krawallbruderschaft als neuer Rhythmusgruppe erst einmal über das vorbildlich zurückhaltende Spiel der beiden. Schroffer als die Seefeel der Neunziger klingt die aktuelle Besetzung, aber die zwischen Gitarrenwand und elektronischer Fläche flirrenden Texturen haben trotz ihrer gelegentlich geräuschhaften Verzerrung zugleich etwas äußerst Fragiles, was besonders den diszipliniert gesetzten Akzenten E-Das zu verdanken ist. Lieber ein Schlag zu wenig, durchgehende Beats gibt es auf der Welt so oder so. Entschleunigung ist derzeit ja ein großer Trend im Pop, auf den sich Seefeel mit gleichzeitiger Entschlackung einen ganz eigenen Reim machen. Die Musikwelt umkrempeln werden sie damit nicht noch einmal, bereichern tun sie sie gleichwohl.

Das gilt ebenfalls für Brian Eno, der schon so lange eine feste Größe im Popgeschäft ist, dass man ihn eigentlich nicht groß vorstellen muss, man denke nur an seine frühe Rolle bei Roxy Music, seine genrebildenden Ambient-Alben oder die Produzententätigkeit für Bands wie die Talking Heads und natürlich U2. Aber wann ist das letzte weltbewegende Eno-Album erschienen? Sein vorletztes Soloalbum, „Another Day on Earth“ von 2005, war es sicher nicht. „Small Craft on a Milk Sea“, sein erstes Album für Warp, stimmt dafür frohgemut und optimistisch. Die Zusammenarbeit mit den jungen Musikern Leo Abrahams und Jon Hopkins erwies sich für Eno als fruchtbar, und so kann man einige seiner schönsten Ambient-Mobiles und Rock-Abstraktionen seit Langem bewundern.

Anders als Seefeel lässt Eno die beiden Welten weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, sie fügen sich stattdessen zu einer Erzählung ohne Worte mit verschiedenen Szenarien, mal zupackend mit Gitarre und Schlagzeug, mal mit zart vorüberwehenden, fast körperlosen Klängen. Diese sich von selbst bebildernden Filmmusiken entstanden aus Improvisationen, denen Eno hier und da mit Zufallsoperationen und anschließender Bearbeitung im Rechner nachgeholfen hat. Herausgekommen ist ein im besten Sinne offenes Kunstwerk, das mit jedem neuen Hören weitere Perspektiven gestattet. TIM CASPAR BOEHME