Alles anders, fast

BERLINER FESTSPIELE Die Juroren haben die Auswahl für das diesjährige Theatertreffen bekannt gegeben

Die üblichen Vor- würfe konnte der Jury keiner machen

Kalt ist es im Haus der Berliner Festspiele, umgebaut wird das Foyer, die Jury für das Theatertreffen sitzt auf der Bühne mit dem Rücken zum eisernen Vorhang. Die Sanierung wird rechtzeitig fertig vor dem Theatertreffen im Mai (6.–22.), und wer dann auf dieser Bühne spielen wird, erzählen die sieben Juroren, Theaterkritiker allesamt den vor ihnen sitzenden Journalisten.

Die üblichen Verdächtigen, Thalheimer, Kriegenburg, nein, nein, Pucher, der ja. Am Schauspielhaus Zürich hat er den „Tod eines Handlungsreisenden“ inszeniert, genau verortet in der Zeit seiner Entstehung und dadurch Lust auf die Geschichte gemacht, wie Ellinor Landmann, Kritikerin aus Basel, begründet. Es ist nicht alles anders als in den anderen Jahren, und doch fühlt es sich ein wenig so an.

Das Schauspielhaus Köln ist wieder mit zwei Inszenierungen vertreten, dem „Kirschgarten“ von Tschechow, den Karin Henkel wie die letzte Vorstellung einer runtergekommenen Gauklertruppe aussehen lässt, und Jelineks Dreiteiler „Das Werk. Im Bus. Ein Sturz“, mit dem Karin Beier ihren Ruf als eine Regisseurin, die sich öfter neu erfindet, gefestigt hat. Aber weil Köln bis zum Antritt von Karin Beier vor vier Jahren kaum eine Rolle spielte, steht auch diese Fortsetzung ihres Erfolgs noch immer im Zeichen des Wandels. Und hoffentlich werden die Nominierungen für ihre Entscheidung, ob sie in Köln bleibt oder sich vom Hamburger Schauspielhaus abwerben lässt, eine Rolle spielen. Das Ensemble hat unter ihrer Intendanz zu einer Kraft gefunden, die sich nicht so leicht in eine andere Stadt mitnehmen lässt.

Lange war Berlin die Theaterstadt in Deutschland, die sich einer oder zwei Nominierungen sicher sein konnte – und auch diesmal ist das so. Aber weder das Deutsche Theater noch die Schaubühne sind dabei, sondern das kleine Ballhaus Naunystraße mit „Verrücktes Blut“ von Nurkan Erpulat, eine Geschichte über eine Lehrerin, die deutsche Grammatik und korrekte Aussprache mit den Waffen ihrer Schüler durchsetzt, im wörtlichen Sinn. Und eine feste Basis am HAU in Berlin hat auch die Performancegruppe She She Pop, die jetzt mit ihren Vätern und dem Stück „Testament“ eingeladen sind, einem großartigen Porträt einer Generation. Beide haben keine große Institution im Rücken, beide müssen mit jedem Stück um Mittel werben – ihre Einladung zum Theatertreffen ist auch ein Signal an die Kulturpolitik, an dieser Projektschiene festzuhalten.

Auch die Kampnagelfabrik aus Hamburg ist als Produzent dabei, von „Via Intolleranza II“, dem letzten Stück von Christoph Schlingensief. Dass drei Produktionen nicht aus den großen Stadttheatern kommen, ist ebenso überraschend wie die Einladung von zwei Inszenierungen aus Schwerin und Oberhausen, beide von Herbert Fritsch, „Nora“ und der „Biberpelz“. Als Schauspieler kennt man Herbert Fritsch schon lange, noch aus den besten Zeiten der Berliner Volksbühne, aber dass er jetzt so viel inszeniert, hier und dort, erstaunt den Berliner. Fritsch ist gerade sechzig geworden, doch seinen bösen anarchischen Zugriff auf den Theaterkanon schildert die Jury als einen erfrischenden Jungbrunnen, witzig, schnell, gemein.

Durch ihre Auswahl rasten mit schnellen Kommentaren sieben Juroren, darunter Christine Wahl vom Berliner Tagesspiegel, Wolfgang Höbel vom Spiegel, Franz Wille von Theater heute. Die üblichen Vorwürfe konnte der Jury, die übrigens zum ersten Mal ihre Auswahl nicht bloß vermelden ließ, sondern leibhaftig begründete, keiner machen. Also keine Fragen, Vorfreude bloß. Genug Verschiebungen, um gespannt zu sein auf neue Mitspieler oder alte Bekannte in neuen Rollen. KATRIN BETTINA MÜLLER

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