Am Abend vor Puig Antichs Hinrichtung

FILMREIHE Das Arsenal stellt mit seiner Filmreihe zu Pere Portabella einen spanischen Regisseur vor, dessen Filme ein wichtiger, bei uns freilich nahezu unbekannter kritischer Beitrag zur Spätphase von Francos Regime sind

Einer der älteren Männer merkt an, dass Franco seit 35 Jahren an der Macht ist und dass er von diesen 35 Jahren 20 in Haft verbracht hat

VON BERT REBHANDL

Am 2. März 1974 wurde in Spanien der katalanische Anarchist und Widerstandskämpfer gegen das Franco-Regime, Salvador Puig Antich, hingerichtet. Er starb auf Grundlage eines politischen Urteils, und die zahlreichen Proteste aus den europäischen Nachbarländern waren Ausdruck der Tatsache, dass Spanien zu diesem Zeitpunkt noch tief in der faschistischen Vergangenheit feststeckte.

Dies wird auch in einer Bemerkung deutlich, die in dem Film „El Sopar“ des Regisseurs Pere Portabella fällt. Dort sitzen am Vorabend von Puig Antichs Hinrichtung fünf spanische Oppositionelle bei einem Tischgespräch beisammen und sprechen über ihre Erfahrungen mit Gefängnis und Repression. Einer der älteren Männer merkt an, dass Franco seit 35 Jahren an der Macht ist und dass er von diesen 35 Jahren 20 in Haft verbracht hat. Das bedeutet unter anderem, dass er das Heranwachsen der eigenen Kinder nicht miterleben konnte – und damit im Grunde auch nicht den Wandel, der schließlich zu einer etwas anderen Demokratie führte, als sich die linken Kämpfer zum Teil vorgestellt hatten.

Aus der Perspektive von 2011 ist es wiederum gut 35 Jahre her, dass „El Sopar“ entstand, der damit ziemlich genau auf halber Strecke zwischen dem Höhepunkt des europäischen Faschismus und der Gegenwart liegt, also einer Epoche entstammt, die in Deutschland durch den „Baader-Meinhof-Komplex“ beinahe schon über Gebühr Beachtung erfährt, während wir aus der entsprechenden Zeit in Spanien sehr wenig wissen.

Umso verdienstvoller ist es, dass das Arsenal nun mit Pere Portabella einen Filmemacher bekannt macht, der genau diese Ära mit wichtigen, international aber nahezu vollständig unbekannt gebliebenen Filmen geprägt hat.

Aus gesundheitlichen Gründen musste der persönliche Besuch des 1929 geborenen Katalanen in Berlin leider kurzfristig abgesagt werden; er wird also nur durch seine Filme vertreten, die eine der – soweit sich das aus einer ersten Sichtung weniger Titel ermessen lässt – interessantesten Retrospektiven dieses Jahres ergeben könnten. „El Sopar“ fällt aus diesem Werk ein wenig heraus, weil es sich um einen relativ konventionellen Dokumentarfilm handelt. Vier Männer und eine Frau, die zusammen 55 Jahre Gefängnis hinter sich haben, sprechen über den Kampf, über das Durchhalten in der Haft, über die Rolle der Frauen in der Opposition. Sie tun dies mit einem starken Bemühen um analytische Präzision, ganz dem Prinzip folgend, dass der Widerstand auch ein intellektueller ist, in dem der Gegner mangels Selbstaufklärung irgendwann obsolet werden würde.

In seinen anderen Filmen aus dieser Zeit wählte Pere Portabella ein komplexeres erzählerisches Vorgehen mit Anleihen beim Surrealismus. Als Produzent arbeitete er auch mit Luis Buñuel zusammen, dessen „Viridiana“ er finanzierte und der für ihn vielleicht eine Bezugspunkt zu den Traditionen herstellte, die sich ab 1970 in Portabellas eigenen Verfahren niederschlugen. „Vampir – Cuadecuc“ ist ein Film über einen anderen Film, „El conde Drácula“ von dem Schundkönner Jess Franco, der hier einer experimentellen Bearbeitung unterzogen wird, die sich wesentlich über die Tonspur vollzieht.

Portabella stellt unter anderem deswegen eine Entdeckung dar, weil er sehr interessant mit Ton arbeitet. In seinem ersten Film „Nocturno 29“ taucht aus einer einsamen Landschaft ein Mann auf, dem sich ein wenig später eine junge Frau hinzugesellt; die Begegnung der beiden bleibt nahezu lautlos, und nach einer Weile zieht sich die Kamera in einer Reihe von Bildsprüngen aus dieser anfangshaften Geschichte zurück, lässt die beiden jungen Leute in ihrer paradiesischen Enklave allein, und der Film geht in einer großbürgerlichen Umgebung weiter, auch dort fast ohne Worte.

Portabella kreuzt hier die ästhetischen Existenzialismen, wie man sie von Antonioni kennt, mit einem Collageprinzip, zu dem sich um 1968 viele Filmemacher bewogen sahen. Aber er tut dies nicht epigonal, sondern entwickelt daraus eine eigensinnige Ästhetik des Widerstands, die zwischen Trash und Hochkultur schillert, also zwischen den beiden Bereichen, die einem reaktionären Regime wie dem von Franco verschlossen blieben. 1989 drehte Portabella mit „Pont de Varsòvia“ einen europäischen Film, dessen Beschreibung äußerst interessant klingt (eine Sichtung war noch nicht möglich), und 2007 tauchte er überraschend noch einmal auf mit dem Film „Die Stille vor Bach“, in dem er sein lebenslanges Interesse an Musik und Ton spielerisch auf ein deutsches Zentralgestirn ausrichtete.

■ Bis 23. März im Arsenal, Programm unter www.arsenal-berlin.de